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MUSIKTHEATER IM REVIERPapst oder Pudding...eine Puppe kann alles sein und alles kann zu einer Puppe werden. Was geschieht, wenn Figuren- und Musiktheater zusammenfinden?
Diese interaktive Reportage stellt die Puppen und ihre Spieler*innen vor, zeigt, was Oper und Puppenspiel trennt und eint, was Puppen erzählen können und wie ihre Spieler*innen mit dem Musiktheater im Revier zusammengewachsen sind.
Kapitel 1: Start
Kapitel 2: Die Idee
Kapitel 3: Die Menschen
Kapitel 4: Die Ergebnisse
Kapitel 5: Ausblick
Die Idee
Intendant Michael Schulz erzähltWieso Puppenspiel ans Musiktheater gehörtFür Michael Schulz stellt die neue Sparte eine "immense Bereicherung" dar. Hier sind drei Gründe weshalb das so ist.
2) "Die Puppe erfährt seit wenigen Jahren eine unglaubliche Renaissance". Trotzdem gibt es bislang kaum Puppenspiel an Musiktheatern.
3) Puppen sind nicht nur etwas für Kinder: "Wenn man schon alleine das Spektrum der Möglichkeiten dessen auffächert, was eine Puppe, eine Figur oder ein Objekt sein kann, dann stellt man schnell fest, dass man sehr nah an den Geschichten ist, die man für Erwachsene erzählen kann."
Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Michael Schulz:
Gloria Iberl-Thieme sprichtÜber die Möglichkeiten des PuppentheatersGloria Iberl-Thieme findet, dass Puppenspiel freier sein kann als Oper. Hier folgen drei Gründe. Wieso das Figurentheater trotzdem zur Oper passt, lässt sich im ganzen Interview nachlesen. Es ist weiter unten verlinkt.
2) Puppen haben ein „anarchisches Element“ und genießen Narrenfreiheit.
3) Puppen können alles sein, vom elaborierten Kunstwerk bis zur naiv gebauten Figur: "An sich gibt es alles schon, Puppenspiel ist dermaßen vielfältig und die Leute sind weltweit und über Jahrhunderte schon so kreativ gewesen [...]".
Die Menschen
Sie halten die Fäden in der Hand: das feste Ensemble
Sie halten die Fäden in der Hand: das Puppenspiel-Studio
Puppenspiel & Pandemie Auch Seth Tietze und Marharyta Pshenitsyna schließen ihr letztes Studienjahr am Musiktheater ab und erzählen von einer Zeit zwischen Lockdown und Premierenmarathon.
Puppenspiel & Pandemie Auch Seth Tietze und Marharyta Pshenitsyna schließen ihr letztes Studienjahr am Musiktheater ab und erzählen von einer Zeit zwischen Lockdown und Premierenmarathon.
Im Spätsommer 2020 beginnt die neue Spielzeit mit drei Premieren, die kurz nacheinander gezeigt werden sollen und so einem Sprint gleichkommen: "Black Rider", "L´Orfeo" und "Rico, Oskar und die Tieferschatten". Für die Spieler*innen bedeutet das, dass nach der Premiere das Proben für die nächste Premiere nahtlos weiter geht. Es gibt viel zu tun. Das Stück "Black Rider" findet besonders viel Resonanz im Publikum, auch andere Puppenspieler*innen der Sparte schwärmen davon. Es kann aber nur einige Male gezeigt werden. Im Oktober werden die Theater in Deutschland wieder geschlossen. Seth Tietze erinnert sich: „Ich habe das erst erfahren als ich wieder hergefahren, auf dem Parkplatz auf der Autobahn. Das hat mich kalt erwischt.“ Das Stück „Rico , Oskar und die Tieferschatten“ wird im Dezember kurz vor dessen Premiere abgesagt und stattdessen in die nächste Spielzeit verschoben. Im Winter 2020 geht das Theater dann erneut im Lockdown so wie alle anderen Theaterhäuser auch.
„Wir waren zwischendurch in einer Phase, wo das Theater in der Luft hing, weil es noch keine Entscheidungen von der politischen Ebene gab, das war dann immer so ein bisschen von Tag zu Tag.“ Und dann geht es im Februar 2021 von einem Tag auf den nächsten weiter. In wenigen Wochen soll "Avenue Q" Premiere feiern und wieder gibt es viel zu tun. Für musikalische Einstudierung und szenische Proben bleibt nur wenig Zeit. Das ist für die Puppenspieler*innen wie ein Sprung ins kalte Wasser, Seth Tietze: „Wir hatten zwar Gesangsunterricht im Studium, aber das war überhaupt nicht der Fokus und in dem Arbeitsfeld Musiktheater ist das schon so wie ein Mal vom Zehn-Meter-Turm springen.“
In einer Zeit, in der so viel ausfallen muss, wissen es die Puppenspieler*innen sehr zu schätzen, dass sie viele praktische Erfahrungen sammeln dürfen während für viele andere Studierende der Unterricht online stattfinden muss: „Es ist sehr privilegiert, hier zu sein, Geld zu bekommen, zu spielen, zu proben und Leute zu treffen“, findet Marharyta Pshenitsyna.
Und trotzdem, die Puppenspieler*innen werden wohl auch ein wenig wehmütig gehen, denn manche Fragen sind für sie offen gelieben. Seth Tietze, der den Austausch mit dem Publikum vor Ort schätzt wird „wahrscheinlich nie erfahren wie es ist im MiR auf der großen Bühne vor einem vollen Saal zu spielen…“
Was ist neu?Neue Aufgaben: Perspektiven hinter den Kulissen
Hinter den Kacheln verbergen sich die Stimmen hinter den Kulissen, die davon berichten, wie sie sich den neuen Herausforderung stellen.
Die Ergebnisse
MUSIKTHEATER IM REVIERDas Puppenspiel am MiR: Zehn Produktionen
Erfahren Sie auf den nächsten Seiten mehr zu den Spielzeiten mit der neuen Sparte Puppenspiel.
Spielzeit 2019.20
Spielzeit 2020.21
Mit dem Kinderstück "Das musikalische Einhorn", einer mobilen Fensterproduktion, kann das Puppenspiel-Ensemble Kinder in und um Gelsenkirchen erreichen.
Spielzeit 2021.22
manche Dinge nur deshalb existieren, weil man an sie glaubt. Das gilt für Puppen ebenso wie für Götter und Päpste.
Ausblick
Ausblick: Die Spielzeit 2022.23
Los geht die Spielzeit 22.23 für das MiR Puppentheater mit der Premiere von Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind. Regie führt Astrid Griesbach. Sie ist bekannt für groteske Bilder mit viel Fantasie und Opulenz. Mit Handpuppen und feinem Humor formt sie in „Leonce und Lena“ eine märchenhafte Welt.
Mit „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry zeigt die Puppenspiel-Sparte zur Weihnachtszeit eines der beliebtesten Kunstmärchen. Das MiR Puppentheater holt mit dem Stück das Weltall ins Kleine Haus des Musiktheaters. Max Frischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ erzählt von der Zeit vor dem ersten Homo sapiens bis in die Zukunft. Im MiR suchen Regiestudierende zusammen mit Puppen und Spieler*innen am MiR nach Antworten auf brennende Fragen.
Impressum/Datenschutz
Zum AnfangGloria Iberl-Thieme
Video-Interview mitGloria Iberl-Thieme
Daniel Jeroma
Daniel Jeroma
Merten Schroedter
Merten Schroedter
Michael Schulz im Interview
Ganzes Interview mit Michael Schulz Wieso die Oper Puppen braucht
Ganzes Interview mit Michael Schulz Wieso die Oper Puppen braucht
Michael Schulz: Warum das Puppentheater, Figurentheater, Objekttheater nicht auch Bestandteil eines Musiktheaters sein kann, ist eine Frage, die mich schon länger umgetrieben hat. Ich bin ein großer Fan des Puppentheaters und habe lange, lange darüber nachgedacht, wie und auf welche Art und Weise man das Puppentheater in das Musiktheater integrieren kann, wobei es mir gar nicht scholastisch darum geht, dass jetzt die Puppe nur musikalisch in den Spielplan integriert ist oder daran partizipiert, sondern es auch möglich ist, dass das Puppentheater auch über die Sprache läuft. Weil das ist das Tolle am Puppentheater: die Vielseitigkeit, die darin steckt. Aber bisher ist es nicht üblich, außer in speziellen Produktionen, die dann in Festspielen laufen, dass die Puppe sich in das Musiktheatergeschehen integrieren lässt. Und zwar nicht nur, indem sie bebildert oder indem eine Figur als Puppe geführt wird, während jemand anderer für sie singt, sondern dass es tatsächlich auch soweit gehen kann, dass der Opernsänger, der Musikdarsteller eine Puppe führt, dass möglicherweise erlernen kann oder aber dass die Puppenspieler*innen, die wir auf der Bühne stehen haben als singende Darsteller mit dabei sind. Da fand ich das spannend das auszuprobieren und so eine Sparte zu gründen.
MiR: Gab es Vorbilder für Ihre Idee?
Michael Schulz: Vorbilder gab es nicht, weil es das meines Wissens nach noch nicht gibt in der Art und Weise. Aber mir ist immer wieder aufgefallen, wenn ich Puppentheater besucht habe, dass viel in diesen Produktionen gesungen wird, dass die Musik eine wesentliche Rolle spielt. Und dass es von daher gar nicht so weit weg ist, das zu benutzen. Denn das Tolle ist, dass die Puppe Dinge kann und tut, die der normale Darsteller auf der Bühne nicht kann oder auch nicht darf.
MiR: Was denn zum Beispiel?
Michael Schulz: Also zum Beispiel darf eine Puppe hässlich sein. Unsere Sehgewohnheiten gerade im Musiktheater richten sich vor allen Dingen auch immer danach, dass Oper etwas sehr Schönes ist, weil die Musik schön ist. Zumindest sofern es sich um die tradierten musikalischen Formen der Oper des 18. und 19. Jahrhunderts handelt, in dem man noch nicht so massiv mit Dissonanz und Atonalität umgegangen ist, wie wir das dann im 20. Jahrhundert gelernt haben. Auch das Musical hält oftmals und in erster Linie für ein Ensemble Partien parat, in denen es auch um den schönen Menschen geht. Durch die Überhöhung des musikalischen Materials, des Gesangs, in dieser Übersteigerung der Emotionalität. Die Puppe hat aber an dieser Stelle auch die Möglichkeit dem entgegenzuwirken. Ich nehme ein Beispiel: Das ist die Produktion „Frankenstein“, die wir zu Beginn dieser Saison gezeigt haben, in der das Monster von einer Puppe gespielt oder dargestellt wird von drei Spielerinnen in dem Fall gespielt worden ist. Das Monster von Frankenstein ist natürlich etwas, das nicht unserem Schönheitsideal entspricht. Bevor wir jetzt einen Darsteller á la Boris Karlov wie im Film der 30er Jahre in dieses Monster verwandeln, ist es natürlich spannend, dass so einen Puppe das machen kann. Da kann man extremer mit sein. Etwas, was ein Sänger gar nicht leisten könnte; man könnte sein Gesicht nicht so gestalten wie es für eine Puppe möglich ist. Da hat man natürlich ganz tolle Wege zu beschreiten, tolle Möglichkeiten.
Die Puppe darf aber auch Dinge sagen und Dinge tun, die wir einem Sänger oder auch vielleicht sogar einem Schauspieler nicht verzeihen würden, weil plötzlich dort ein Mensch steht, der Dinge tut, die wir nicht sehen wollen, die aber durchaus Bestandteil einer Figur sind, die auch Bestandteil einer psychologischen Disposition einer Figur sind. Wenn das aber von einer Puppe gemacht wird, akzeptiert man das. Man hat eine andere Distanz dazu, weil es totes Material ist, das durch Spieler zum Leben erweckt wird, mit dem ich mich in dem Sinne aber nicht identifiziere. Das ist eine Riesenchance.
Das ist etwas, was ich ganz besonders finde und auch für das Musiktheater, weil Musiktheater bildet nicht per se immer nur das Schöne und Wahre ab, sondern das Musiktheater zeigt auch viel grässliche und entsetzliche Dinge. Es zeigt viele Dinge, die wir nicht sehen wollen und die haben wir aber die Möglichkeit mit der Puppe auf die Bühne zu stellen. Das finde ich faszinierend und eine große Chance.
MiR: Wie wurde Ihre Entscheidung aufgenommen?
Michael Schulz: Als ich anfing darüber zu sprechen, dass wir so eine Sparte gründen wollen, ist es in der Tat so gewesen, dass sehr viele Fragezeichen in den Gesichtern gestanden haben. Weil in erster Linie Puppentheater mit Kindertheater in Verbindung gebracht wird. Zum Beispiel mit der Augsburger Puppenkiste, wobei ich sagen muss, auch als Erwachsener liebe ich die Augsburger Puppenkiste und das Subversive, das in diesen Geschichten und auch in den Figuren steckt. Das entdeckt man auch als Erwachsener nochmal ganz anders. Der Melancholische Selefant in „Urmel aus dem Eis“ ist eine Figur für Erwachsene oder die Liebesaffäre zwischen dem Pinguin und seiner Mupfel. Auch das ist etwas, was man erst als Erwachsener richtig versteht. Aber trotzdem, man verbindet es in erster Linie mit dem Kasperletheater „Tri, Tra, Trullala“ und der Marionette. Und wenn, ist es nett, wenn dann irgendwie eine Mozart-Oper mit Marionetten gespielt wird. Dem entsprechend war auch erst mal die Frage danach, was das ist. Aber wenn man schon alleine anfängt das Spektrum an der Möglichkeit dessen, was eine Puppe, eine Figur oder was auch ein Objekt sein kann, auffächert, stellt man sehr schnell fest, dass man sehr nah an den Geschichten ist, die man für Erwachsene erzählen kann.
Es gibt viele Dinge, die auf den Bühnen, auch auf den Opernbühnen stattfinden, die eigentlich schon Figurentheater oder Objekttheater sind. Wenn wir abstrakte Bühnenbilder haben, in denen sich Dinge verwandeln, sich anfangen zu bewegen, wenn wir mit Lichteffekten arbeiten, wenn wir Schatten bauen und Schattentheater spielen und so weiter und so fort, dann ist das schon sehr nah am Objekttheater dran. Und von daher ist es dann eigentlich auch kein weiter Schritt bis hin zum Objekttheater, zum Figurentheater, in dem abstrakte Figuren sind, die auch immer wieder erprobt worden sind, auch schon lange, lange, lange bevor das Puppentheater als eigenständige Sparte dagewesen ist. Oder aber die zurück zu führen sind auf die Bereiche des Maskenspiels, die auch in den Anfängen des musikalischen Theaters eine wesentliche Rolle gespielt haben. So kommt man peu á peu an den Punkt, an dem man sehr schnell feststellt, dass Puppentheater nichts mit Kindern zu tun hat und dann muss man das Publikum noch mitnehmen und ihm das klarmachen und dann kann die Faszination Puppe eine ganz Große werden.
MiR: Hat das Publikum das auch schon verstanden?
Diejenigen, die es erlebt haben, erzählen fast über nichts anderes. Also unsere Besucher, die im Frankenstein waren, so leid es mir für unsere Sänger tut, erzählen in erster Linie von der großartigen Puppe und ihren Spielerinnen. Oder wir haben Veranstaltungen, in denen die Puppenspielerinnen mit ihren Puppen auftreten und es in Nullkommanichts schaffen, das erwachsene Publikum zu verzaubern. Und das ist etwas, das die Menschen mitnehmen. Diese Faszination wollen sie dann beim nächsten Mal wieder erleben, weiter erleben und werden neugierig da drauf.
Ich denke, dass wir uns Zeit lassen müssen, aber in drei Jahren hoffe ich darauf, wenn wir auch die verschiedenen Aspekte von Puppentheater präsentiert haben, wird das dann auch ein feststehender Bereich unseres Angebotes sein. Und die Puppenspieler werden in das Ensemble integriert sein.
MiR: Das heißt, das Haus und die Puppenspielerinnen wachsen gerade noch zusammen?
Michael Schulz: Absolut, das ist immer noch ein Beschnuppern und Kennenlernen. Aber es hat faszinierende Dinge gegeben. Ich entsinne mich jetzt an die Produktion für Kinder und Jugendliche oder Familienproduktion „Perô oder die Geheimnisse der Nacht“, in der einer unserer Opernsänger mit einer Puppe spielen musste, einer sogenannten Klappmaulpuppe. Und wie schnell er sich das angeeignet hat, wie Puppe zu einem Teil von ihm wurde. Das ist total schön und beglückend. Der ist zum Beispiel schon komplett beim Puppentheater angekommen.
MiR: Beobachten Sie, dass das auch Auswirkungen auf die Arbeit der Sänger hat, wenn sie auf der Bühne mal Puppentheater gemacht haben?
Michael Schulz: Das würde ich jetzt noch nicht sagen. Dafür haben wir zu wenig bisher gemacht. Aber für denjenigen, die mit der Puppe gespielt haben, ich denke zum Beispiel an unser Ensemblemitglied Piotr Prochera, der als Frankenstein ja im permanenten Dialog mit der Puppe gestanden hat. Oder eben an Benjamin Hoffmann, der diese Klappmaulpuppe, die Katze in den „Drei miesen fiesen Kerlen“ gespielt hat, die beiden Sänger, die in „Perô“ dabei gewesen sind. Die werden schon ein ganz anderes Gefühl für die Puppe entwickelt haben. Die müssen die Puppe in die Hand nehmen, sie müssen spüren, wie die Puppe quasi eine Extremität von ihnen wird, wie sie zum Teil von ihnen werden muss, weil jede Bewegung, die sie machen, wird einen Ausdruck haben. Das fördert auch wieder ein Bewusstsein über seine eigene Körperlichkeit. Ich hoffe, dass wir dann eben auch so weit kommen, dass viele Sänger, Sängerinnen mit den Puppen in Berührung kommen. Dem entsprechend planen wir das, gucken, dass die Puppe stark auch in große Hausproduktionen integriert wird.
MiR: Haben Sie schon Reaktionen aus der Figurentheater-Szene bekommen?
Michael Schulz: Sehr sehr positive, alle finden das ganz toll. Natürlich ist die Installation an einem Musiktheater etwas sehr Eigenständiges und auch ein Alleinstellungsmerkmal, aber die Puppe erfährt seit wenigen Jahren eine unglaubliche Renaissance. Was ganz toll ist. Was auch immer das ist, es mag ein bisschen daran liegen, dass man immer auf der Suche nach etwas Neuem ist. Und bei allen technischen Möglichkeiten, die wir auch in den Medien haben, wie der Film arbeitet, dass man selbst zu Hause in der Lage ist, mit seinem Computer eigene Filme zu machen und Special Effects da rein zu bauen und neue Welten zu schaffen, ist das natürlich besonders schön, über die Puppe zu sehen, wie man ganz ursprünglich auch aus Dingen, die man sich aus seiner Kindheit erinnert, das Tote zum Leben erwecken kann, das tote Material.
Es ist jetzt nicht so, dass wir die Einzigen sind, die die Puppe plötzlich entdecken. Auf der anderen Seite aber die Installation einer Sparte aus der Puppenspielwelt große Aufmerksamkeit erregt hat und wir auch überall ganz tolle Resonanz darauf bekommen. Alle sagen, dass sie das fantastisch finden. Dass wir dem Puppenspiel in einer - jenseits der FIDENA - ja doch relativ brach liegenden Puppenspielgegend wie hier im Ruhrgebiet. Zum Glück hat Neuss gerade auch ein eigenes Puppentheater gegründet. Wir versuchen, dieser Kunstform erst mal ein Forum zu geben. Ich glaube, dass wird allgemein als etwas sehr Positives angesehen.
MiR: Am Haus gibt es Gloria Iberl-Thieme als einzige feste Puppenspielerin, noch keine Lagerräume, keine Puppenwerkstatt usw. Wie soll das weiter ausgebaut werden?
Michael Schulz: Wir möchten uns ein Netzwerk an Puppenbauern erarbeiten, ob es uns gelingen wird einen eigenen Puppenbauer am Haus zu installieren, werden wir sehen. Wir haben aber festgestellt, dass in den Bereichen der technischen Gewerke zwei, drei Personen sind, die ein großes Interesse daran haben, sich verstärkt damit zu beschäftigen, die auch eine tolle Fantasie mitbringen. Denn man braucht auch Fantasie, um das zu machen. Wir möchten gerne erreichen, dass wir einen festen Spielort für die Puppe haben. Das heißt, dass wir auch im großen und im kleinen Haus mit der Puppe spielen werden, aber dass sie auch nochmal die Möglichkeit hat in einem eigenen Bereich zu sein.
Zur nächsten Saison werden wir einen zweiten Puppenspieler fest engagieren und auch das soll sich ein bisschen ausweiten. Ich würde mir wünschen, wir haben irgendwann ein Ensemble von vier festen Spielern plus einem Leiter. Denn auch das ist wichtig, man braucht den Input, man braucht jemand, der Fantasie dafür entwickelt. Und dann eben mit dem Studio der Ernst-Busch-Hochschule nochmal vier Spieler*innen zu haben, die aus dem Studiengang hier am Haus sind. Sodass man durchaus ein großes Ensemble hat, mit dem man dann auch richtig was machen kann.
MiR: Zum Abschluss, was haben sie bisher Neues gelernt über das Puppentheater?
Michael Schulz: Unfassbar viel, das könnte ich jetzt gar nicht alles wiedergeben. Das hat etwas mit Produktionsabläufen zu tun, damit eine Puppe geführt werden muss, was wichtig dafür ist. Das ist eine ganz andere Art und Weise des Spielens und des Darstellens und des Erarbeitens als wir bisher in der Oper oder im Schauspiel gewohnt sind. Es geht um technische Belange, also das heißt: Wie ist eine Puppe, was muss man beachten, wenn eine Puppe gebaut wird, wenn man sie entwickelt, wenn man einen Produktionsprozess hat, wie lange Zeit braucht man dafür, wie ist die Vorplanung, wie muss man sich festlegen, nicht alles geht. Das ist wahnsinnig spannend. Das wird noch lange, lange noch nicht zu Ende sein. Das ist aber auch eine wunderbare Sache, das man immer wieder voneinander lernt, sich miteinander auseinandersetzt. Das letzte, was dann ist, man hat einfach ganz großartige Menschen kennengelernt, einen Kosmos kennengelernt, der sich bisher einem verschlossen hatte. Das ist eine immense Bereicherung.
Winterreise
Winterreise
Das Werk
Hier probieren die zwei Puppenspielerinnen aus, wie sich die Puppen aus Zeitungspapier und Klebeband auf der Bühne bewegen können.
Probenszene aus der "Winterreise"
Interview mit Annette Dabs und Stefanie OberhoffWie wird ein Liederzyklus belebt?
Die Regisseurin ist Annette Dabs und die Bühnenbildnerin Stefanie Oberhoff. Im Interview von Februar 2020 geben sie Einblick in ihre gemeinsame Arbeit.
MiR: Was sind besondere Herausforderungen bei der Arbeit mit der Großpuppe?
Annette Dabs: Für uns beide sind das andere Herausforderungen als für die Puppenspieler. Ich fange mal bei den Puppenspielern an. Die brauchen erstmal die richtigen Handschuhe, die müssen ordentlich Muckis haben, weil das ist nicht so ganz einfach. Auf der Bühne nachher mit anderer Hebelwirkung, da wirds bestimmt leichter werden. Das ist zumindest auf alle Fälle etwas, an das sie sich ein bisschen gewöhnen müssen. Vor allen Dingen müssen die total aufeinander eingespielt sein. Die müssen quasi spüren, wenn die eine da zieht, dass ich dann locker lassen muss und dass man das im Prinzip kaum noch mehr mechanisch macht, sondern dass man mit der Puppe mit atmet. Das ist für die Puppenspielerinnen die Hauptaufgabe.
Stefanie Oberhoff: Das ist auch interessant sich vorzustellen, dass die, die die Figur bewegen von ihrer Position nie sehen können, wie es eigentlich genau aussieht oder was da eigentlich passiert. Die müssen sich auf so ein Gefüge verlassen, dass sie wissen, wenn ich das mache, dann wird das schon die Haltung sein, von der geredet ist oder die ich jetzt spüre. Für mich ist auch noch eine große Herausforderung, es geht ja nicht nur um die Beweglichkeit, sondern dass Ganze soll auch noch aussehen wie ein Stück Natur, wie eine Landschaft. Gerade ist der Malsaal am Experimentieren wie man das Ganze noch bepflanzt, begrünt.
Annette Dabs: Dann haben wir noch einen Nebelworkshop, wo wir versuchen wollen mit Bodennebel, mit fließendem Nebel, mit aufsteigendem Nebel, also mit all diesen verschiedenen Formen des Nebels zu arbeiten, um die Landschaftsillusion hinzubekommen.
Und dann denke ich, ist für mich noch eine Aufgabe, herauszufinden, was kann ich mit den Sängern und Sängerinnen machen. Wo können die eventuell mal drüber steigen, drauf steigen, sich draufsetzen? Was passiert, wenn sie sich drauf setzen? Fängt dann alles an zu wackeln? Oder ist das wie wenn man sich auf einen Körper setzt, dass das geschmeidig nachgibt? Das sind so Sachen, da fangen wir jetzt an das auszuprobieren.
MiR: Wie ist der Umgang der Sänger*innen mit der Puppe?
Annette Dabs: Ich würde sagen, sie sind im Moment noch etwas ratlos. Da sind sie aber in guter Gesellschaft, weil wir sind auch noch ratlos. Wir stehen alle am Anfang. Wir beide haben zwar eine Vision im Kopf, wo wir denken, so müsste es eigentlich funktionieren, aber das ist dann nochmal was anderes, wenn man die Sänger hier hat und die Puppen im Moment noch anders aussehen als sie dann im Original sein werden. Da muss man sich das im Kopf wie bei einem Puzzle nochmal anders zusammen denken. Insofern: die Sänger sind im Moment auf dem gleichen Stand wie wir. Und sie sind genauso neugierig. Das ist schön.
MiR: Was ist anders, wenn ein Kostümbildner, der sonst Opernsänger und Tänzer ausstattet, Puppen ausstatten soll?
Stefanie Oberhoff: Ich komme mehr aus der Figurentheater als aus der Operntheaterwelt. Für mich sind die Opernsänger die Herausforderung [lacht]. Für mich ist das Figurenthater auch in meiner eigenen Arbeit nicht definiert, sondern immer ein Experiment mit neue Formen. Wie auch das [zeigt auf die Großpuppe] ist jetzt unbedingt nicht das, was sich jeder unter einer Puppe vorstellt, das ist vielleicht ein bisschen größer. So sind auch die Kostüme eigentlich auch Puppen, sie sind angelehnt an die schwäbisch-allemannische Fasnet und sind Tiergestalten und sind dadurch in ihren Bewegungen auch irgendwie entmenschlicht. Gerade das was gesehen haben, das Reh, das sich sehr puppig bewegt nachher. Da werden die Puppenspieler*innen selber zu Puppen gemacht, was ist für mich auch in dem Ausmaß relativ neu ist.
MiR: Könnt ihr euer Konzept und eure Idee zur "Winterreise" vorstellen?
Annette Dabs: Als wir davon erfahren haben, das war ja relativ kurzfristig, war relativ schnell klar, dass wir auf alle Fälle wieder mit dieser Größe arbeiten wollen, also dass das Bühnenbild eigentlich der Protagonist ist und dass es darum geht, das Bühnenbild zu animieren. Also wieder etwas auf die Bühne zu stellen, was Ausmaße haben könnte wie eine Landschaft. Das war schonmal die Grundvoraussetzung, mit der wir gemeinsam begonnen haben. Wir hatten das schon bei „Moondog“, dass wir auch mit einer sehr kleinen Figur gearbeitet haben und ich persönlich fand diesen Wechsel zwischen ganz klein, wo Leute sagten: "Das können die Leute da hinten doch überhaupt gar nicht mehr erkennen!", das fand ich gerade sehr reizvoll. Ich glaube, das hat emotional auch sehr gut funkioniert, weil alle haben diese Puppe gesehen, selbst vom letzten Platz in der letzten Reihe. Und dann auf einmal die Bewegung der großen Puppe. Diesen Unterschied in den Dimensionen, den wollte ich gerne auch wieder haben. Und dann kamst du mit deiner Idee von der "Kamerafahrt ins Herz".
Stefanie Oberhoff: Für mich war am Anfang auch eine Herausforderung, dass es ja keine Oper ist, sondern ein Liederzyklus. Da stellt sich ja die Frage, inwiefern muss man das überhaupt bebildern? Das ist ja eigentlich gedacht, dass es nur musikalisch wirkt, deshalb war uns klar, es soll da irgendwas sein, dass nicht stört oder irgendetwas aus der Musik kopiert. Und so sind wir auf die Idee gekommen, dass es das Wichtigste ist, in der "Winterreise" so kontemplativ in die Landschaft schauen. Deshalb gehen wir auch morgen mit dem ganzen Team in den Wald um zu sehen, wie das eigentlich ist, sich im Winter darauf einzulassen. Und obwohl das ganze groß ist und hoffentlich spektakulär wird, wird diese spektakuläre Moment wahrscheinlich erst am Ende des Abends sichtbar sein nachher und ansonsten wird das eine ganz ruhige Sache sein. Dass, das Publikum eher auf eine Landschaft guckt und der Musik lauscht, und dann taucht da vielleicht mal ein Tier auf oder man kann auch frei wählen, wo man hinguckt, guck ich auf Sänger oder auf Wolken. Diese Kamerafahrt war dann so eine Frage, wie kriegt man diese Landschaft betrachtet mit den Sängern und Sängerinnen zusammen. Und so ist das jetzt ein Versuch, quasi nach und nach die Dimensionen anzupassen. Also erst guckt man auf eine Landschaft, wo minikleine Tiere sind, dann rückt die näher und dann sind die Tiere schon ein bisschen größer, dann sind da Menschen drin und am Schluss ist die ganze Landschaft ein Wesen.
Annette Dabs: Wenn wir immer darüber reden "die Landschaft..." dann handelt es sich dabei um eine Seelenlandschaft. Das Ganze ist eine Wanderung durch einen Seelenzustand, eigentlich ein Seelenzustand in 24 Stationen. Die Winterreise hat 24 Lieder, der Tag hat 24 Stunden. So ist das bei uns dann auch ein Tagesablauf von der Nacht über den Tag bis zur nächsten Abenddämmerung. In diesen 24 Stationen, gibt es einen Seelenzustand, der von völlig verzweifelt, todessehnsüchtig, wütend, traurig, rückblickend, in der Erinnerung schwelgend. Also diese ganzen Dinge, die wir auch selber kennen, solche Zustände, in die man kommt, wenn man fürchterlichen Herzschmerz hat oder so etwas. Das ist diese Seelenlandschaft, die wir zeigen. Insofern orientiert sich das Ganze sich an der Musik von Schubert. Das wird ein kontemplativer Liederzyklus. Die Seelenlanschaft wird ihr Übriges dazu tun, dass man die Musik sehr genießen kann.
MiR: Wie werden Musik und Puppen interagieren?
Annette Dabs: Das Schöne ist, dass die Puppen zum Teil einfach nur da sind. Es gibt Passagen, wo wir mit den etwas größeren Puppen arbeiten, aber auch die kleinen Puppen, es wird eigentlich immer das Gleiche sein. Die tauchen auf und die sind da, so wie in einer Landschaft. Tiere sind auch einfach da, die richten sich nicht danach, ob ich jetzt die Stimmung hab oder ob eine Musik langsam ist, laut oder leise. Die sind da und dann sind sie wieder weg oder die gucken auch einfach nur. Dieses nur da sein ohne einen Kommentar zu spielen macht was mit der Musik.
Stefanie Oberhoff: Und dann ist noch, wenn wir das denn hinkriegen, so ein bisschen geplant, dass man auf die Entfernung kleine Tiere sieht, die man assoziiert mit Tieren aus der Natur, wenn die näher kommen sind das größere Puppen mit menschlicher Gestalt. Diese Puppenspieler in den Tierkostümen sind dann so eine Art Krafttiere oder so, die mit den Solisten und Solistinnen auch gemeinsam auf den Weg gehen. Das heißt, da ist auch so eine Entwicklung von Natur, die sich mit einem verbindet oder die man erst nicht wahrnimmt und dann doch wahrnimmt.
Annette Dabs: Man kann auch sagen, die eigene Natur, der eigene natürliche Zustand, der will wiedergefunden werden. Weil der eigene natürliche Zutand kennt nicht die Verzweiflung, die Hysterie, kennt nicht die Angst sondern der eigentliche natürliche Zustand ist völlige Ruhe und Ausgeglichenheit. Die Krafttiere, wenn wir sie jetzt mal so nennen wollen, die erinnern immer wieder daran, versuchen die Sänger und Sängerinnen in die Richtung zu schieben. Aber ob das gelingt, werden wir dann vielleicht bei der Premiere entscheiden können.
Franz Schubert sieht für seinen Liederzyklus "Winterreise" ein Klavier und eine Stimme vor. In dieser Produktion ist Einiges anders: Es stehen vier Sänger auf der Bühne und viele Puppen, eine davon ist fast acht Meter groß.
Die Regisseurin ist Annette Dabs und die Bühnenbildnerin Stefanie Oberhoff. Im Interview von Februar 2020 geben sie Einblick in ihre gemeinsame Arbeit.
MiR: Was sind besondere Herausforderungen bei der Arbeit mit der Großpuppe?
Annette Dabs: Für uns beide sind das andere Herausforderungen als für die Puppenspieler. Ich fange mal bei den Puppenspielern an. Die brauchen erstmal die richtigen Handschuhe, die müssen ordentlich Muckis haben, weil das ist nicht so ganz einfach. Auf der Bühne nachher mit anderer Hebelwirkung, da wirds bestimmt leichter werden. Das ist zumindest auf alle Fälle etwas, an das sie sich ein bisschen gewöhnen müssen. Vor allen Dingen müssen die total aufeinander eingespielt sein. Die müssen quasi spüren, wenn die eine da zieht, dass ich dann locker lassen muss und dass man das im Prinzip kaum noch mehr mechanisch macht, sondern dass man mit der Puppe mit atmet. Das ist für die Puppenspielerinnen die Hauptaufgabe.
Stefanie Oberhoff: Das ist auch interessant sich vorzustellen, dass die, die die Figur bewegen von ihrer Position nie sehen können, wie es eigentlich genau aussieht oder was da eigentlich passiert. Die müssen sich auf so ein Gefüge verlassen, dass sie wissen, wenn ich das mache, dann wird das schon die Haltung sein, von der geredet ist oder die ich jetzt spüre. Für mich ist auch noch eine große Herausforderung, es geht ja nicht nur um die Beweglichkeit, sondern dass Ganze soll auch noch aussehen wie ein Stück Natur, wie eine Landschaft. Gerade ist der Malsaal am Experimentieren wie man das Ganze noch bepflanzt, begrünt.
Annette Dabs: Dann haben wir noch einen Nebelworkshop, wo wir versuchen wollen mit Bodennebel, mit fließendem Nebel, mit aufsteigendem Nebel, also mit all diesen verschiedenen Formen des Nebels zu arbeiten, um die Landschaftsillusion hinzubekommen.
Und dann denke ich, ist für mich noch eine Aufgabe, herauszufinden, was kann ich mit den Sängern und Sängerinnen machen. Wo können die eventuell mal drüber steigen, drauf steigen, sich draufsetzen? Was passiert, wenn sie sich drauf setzen? Fängt dann alles an zu wackeln? Oder ist das wie wenn man sich auf einen Körper setzt, dass das geschmeidig nachgibt? Das sind so Sachen, da fangen wir jetzt an das auszuprobieren.
MiR: Wie ist der Umgang der Sänger*innen mit der Puppe?
Annette Dabs: Ich würde sagen, sie sind im Moment noch etwas ratlos. Da sind sie aber in guter Gesellschaft, weil wir sind auch noch ratlos. Wir stehen alle am Anfang. Wir beide haben zwar eine Vision im Kopf, wo wir denken, so müsste es eigentlich funktionieren, aber das ist dann nochmal was anderes, wenn man die Sänger hier hat und die Puppen im Moment noch anders aussehen als sie dann im Original sein werden. Da muss man sich das im Kopf wie bei einem Puzzle nochmal anders zusammen denken. Insofern: die Sänger sind im Moment auf dem gleichen Stand wie wir. Und sie sind genauso neugierig. Das ist schön.
MiR: Was ist anders, wenn ein Kostümbildner, der sonst Opernsänger und Tänzer ausstattet, Puppen ausstatten soll?
Stefanie Oberhoff: Ich komme mehr aus der Figurentheater als aus der Operntheaterwelt. Für mich sind die Opernsänger die Herausforderung [lacht]. Für mich ist das Figurenthater auch in meiner eigenen Arbeit nicht definiert, sondern immer ein Experiment mit neue Formen. Wie auch das [zeigt auf die Großpuppe] ist jetzt unbedingt nicht das, was sich jeder unter einer Puppe vorstellt, das ist vielleicht ein bisschen größer. So sind auch die Kostüme eigentlich auch Puppen, sie sind angelehnt an die schwäbisch-allemannische Fasnet und sind Tiergestalten und sind dadurch in ihren Bewegungen auch irgendwie entmenschlicht. Gerade das was gesehen haben, das Reh, das sich sehr puppig bewegt nachher. Da werden die Puppenspieler*innen selber zu Puppen gemacht, was ist für mich auch in dem Ausmaß relativ neu ist.
MiR: Könnt ihr euer Konzept und eure Idee zur "Winterreise" vorstellen?
Annette Dabs: Als wir davon erfahren haben, das war ja relativ kurzfristig, war relativ schnell klar, dass wir auf alle Fälle wieder mit dieser Größe arbeiten wollen, also dass das Bühnenbild eigentlich der Protagonist ist und dass es darum geht, das Bühnenbild zu animieren. Also wieder etwas auf die Bühne zu stellen, was Ausmaße haben könnte wie eine Landschaft. Das war schonmal die Grundvoraussetzung, mit der wir gemeinsam begonnen haben. Wir hatten das schon bei „Moondog“, dass wir auch mit einer sehr kleinen Figur gearbeitet haben und ich persönlich fand diesen Wechsel zwischen ganz klein, wo Leute sagten: "Das können die Leute da hinten doch überhaupt gar nicht mehr erkennen!", das fand ich gerade sehr reizvoll. Ich glaube, das hat emotional auch sehr gut funkioniert, weil alle haben diese Puppe gesehen, selbst vom letzten Platz in der letzten Reihe. Und dann auf einmal die Bewegung der großen Puppe. Diesen Unterschied in den Dimensionen, den wollte ich gerne auch wieder haben. Und dann kamst du mit deiner Idee von der "Kamerafahrt ins Herz".
Stefanie Oberhoff: Für mich war am Anfang auch eine Herausforderung, dass es ja keine Oper ist, sondern ein Liederzyklus. Da stellt sich ja die Frage, inwiefern muss man das überhaupt bebildern? Das ist ja eigentlich gedacht, dass es nur musikalisch wirkt, deshalb war uns klar, es soll da irgendwas sein, dass nicht stört oder irgendetwas aus der Musik kopiert. Und so sind wir auf die Idee gekommen, dass es das Wichtigste ist, in der "Winterreise" so kontemplativ in die Landschaft schauen. Deshalb gehen wir auch morgen mit dem ganzen Team in den Wald um zu sehen, wie das eigentlich ist, sich im Winter darauf einzulassen. Und obwohl das ganze groß ist und hoffentlich spektakulär wird, wird diese spektakuläre Moment wahrscheinlich erst am Ende des Abends sichtbar sein nachher und ansonsten wird das eine ganz ruhige Sache sein. Dass, das Publikum eher auf eine Landschaft guckt und der Musik lauscht, und dann taucht da vielleicht mal ein Tier auf oder man kann auch frei wählen, wo man hinguckt, guck ich auf Sänger oder auf Wolken. Diese Kamerafahrt war dann so eine Frage, wie kriegt man diese Landschaft betrachtet mit den Sängern und Sängerinnen zusammen. Und so ist das jetzt ein Versuch, quasi nach und nach die Dimensionen anzupassen. Also erst guckt man auf eine Landschaft, wo minikleine Tiere sind, dann rückt die näher und dann sind die Tiere schon ein bisschen größer, dann sind da Menschen drin und am Schluss ist die ganze Landschaft ein Wesen.
Annette Dabs: Wenn wir immer darüber reden "die Landschaft..." dann handelt es sich dabei um eine Seelenlandschaft. Das Ganze ist eine Wanderung durch einen Seelenzustand, eigentlich ein Seelenzustand in 24 Stationen. Die Winterreise hat 24 Lieder, der Tag hat 24 Stunden. So ist das bei uns dann auch ein Tagesablauf von der Nacht über den Tag bis zur nächsten Abenddämmerung. In diesen 24 Stationen, gibt es einen Seelenzustand, der von völlig verzweifelt, todessehnsüchtig, wütend, traurig, rückblickend, in der Erinnerung schwelgend. Also diese ganzen Dinge, die wir auch selber kennen, solche Zustände, in die man kommt, wenn man fürchterlichen Herzschmerz hat oder so etwas. Das ist diese Seelenlandschaft, die wir zeigen. Insofern orientiert sich das Ganze sich an der Musik von Schubert. Das wird ein kontemplativer Liederzyklus. Die Seelenlanschaft wird ihr Übriges dazu tun, dass man die Musik sehr genießen kann.
MiR: Wie werden Musik und Puppen interagieren?
Annette Dabs: Das Schöne ist, dass die Puppen zum Teil einfach nur da sind. Es gibt Passagen, wo wir mit den etwas größeren Puppen arbeiten, aber auch die kleinen Puppen, es wird eigentlich immer das Gleiche sein. Die tauchen auf und die sind da, so wie in einer Landschaft. Tiere sind auch einfach da, die richten sich nicht danach, ob ich jetzt die Stimmung hab oder ob eine Musik langsam ist, laut oder leise. Die sind da und dann sind sie wieder weg oder die gucken auch einfach nur. Dieses nur da sein ohne einen Kommentar zu spielen macht was mit der Musik.
Stefanie Oberhoff: Und dann ist noch, wenn wir das denn hinkriegen, so ein bisschen geplant, dass man auf die Entfernung kleine Tiere sieht, die man assoziiert mit Tieren aus der Natur, wenn die näher kommen sind das größere Puppen mit menschlicher Gestalt. Diese Puppenspieler in den Tierkostümen sind dann so eine Art Krafttiere oder so, die mit den Solisten und Solistinnen auch gemeinsam auf den Weg gehen. Das heißt, da ist auch so eine Entwicklung von Natur, die sich mit einem verbindet oder die man erst nicht wahrnimmt und dann doch wahrnimmt.
Annette Dabs: Man kann auch sagen, die eigene Natur, der eigene natürliche Zustand, der will wiedergefunden werden. Weil der eigene natürliche Zutand kennt nicht die Verzweiflung, die Hysterie, kennt nicht die Angst sondern der eigentliche natürliche Zustand ist völlige Ruhe und Ausgeglichenheit. Die Krafttiere, wenn wir sie jetzt mal so nennen wollen, die erinnern immer wieder daran, versuchen die Sänger und Sängerinnen in die Richtung zu schieben. Aber ob das gelingt, werden wir dann vielleicht bei der Premiere entscheiden können.
Großpuppe
Zum Anfang Zum Anfang Zum AnfangPapierpuppen
Papierpuppen entstehen
Puppen in Menschengröße
Menschen werden Puppen
Frankenstein
Frankenstein - Die Monster-Oper
Die Geschichte zum Stück
In einer stürmischen Gewitternacht am Genfer See wird die Idee zu einem der großen Romane der Weltliteratur geboren: Mary Shelley schreibt „Frankenstein“ in jenem Sommer ohne Sonne des Jahres 1816. Musste ihr Erstling zunächst noch unter einem Pseudonym erscheinen, ist der Stoff heute tief in unserem kulturellen Bewusstsein verankert, nicht zuletzt dank zahlreicher Verfilmungen, von denen diejenige mit Boris Karloff wohl die berühmteste ist. Shelleys „Frankenstein or The Modern Prometheus“ hatte großen Einfluss auf das Horrorgenre und gilt zugleich als einer der ersten Science-Fiction-Romane. Heute, im Zeichen von Künstlicher Intelligenz, ist der Stoff aktueller denn je. Zugleich wirft er überzeitliche philosophische Fragen auf – etwa nach dem Ursprung des Bösen oder nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur.
Nicht der Wissenschaftler Frankenstein steht im Mittelpunkt der Oper des jungen Komponisten Jan Dvořák, sondern das Monster, das von einer Puppe dargestellt wird. Dvořák schrieb sich seinen eigenen Text, der eng an Shelleys Roman angelehnt ist. Die Musik besticht durch ihre große atmosphärische Dichte, besondere Akzente setzt ein Geräuschemacher. „Frankenstein“, ursprünglich als Schauspiel für das Theater Basel konzipiert, wurde im Juni 2018 als Auftragswerk der Staatsoper Hamburg auf Kampnagel uraufgeführt und ist nun in einer Neuinszenierung erstmals am MiR zu sehen.
Hier geht es zum Trailer des Stückes
Wie Oper und Puppenspiel in "Frankenstein" zusammenfinden
Reaktionen
"Frankensteins Monster ist in die Welt geworfen. Und mit ihm gekommen sind drei junge Puppenspielerinnen, die dieses Geschöpf zum Leben erwecken, ihr ihre Stimme leihen und die in der Folge zu den tragenden Akteuren, ja zu den Stars eines eindringlichen Abends werden [...] Dass der Gelsenkirchener „Frankenstein“ zu einem wirklich großen Bühnenereignis gerät, das man so schnell nicht vergessen wird, liegt an den wunderbaren Puppenspielerinnen."
(Wolfgang Platzeck, WAZ, 29.09.2019)
"Es dauert nur wenige Augenblicke, bis die drei Spielerinnen so mit der Puppe verschmolzen sind, dass sie nur noch Schatten neben dem Monster zu sein scheinen, das aus sich selbst heraus agiert. Fast paradox: Noch eindrücklicher wird das Eigenleben des Monsters dadurch, dass die Spielerinnen immer wieder auch mit der Puppe direkt interagieren, um dann wieder in den Schatten zurückzutreten. Das hat große Klasse."
(Honke Rambow, fidena.de)
"Für die neu eingerichtete Puppenspielsparte des Theaters, die mit Frankenstein nicht nur ihren Einstand geben, sondern auch gleich die Eröffnung der aktuellen Spielzeit stemmen muss, erweist sich diese Stückwahl als Unglück. Dabei schindet die zwei Meter große Puppe, die in einem anatomischen Theater zum Leben erwacht, durchaus Eindruck mit ihren künstlichen Knochen, Muskeln und Sehnen.
Gunther von Hagens „Körperwelten“ scheinen Pate gestanden zu haben für dieses 15 Kilogramm schwere Monster, das mit choreographischem Können geführt wird von Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik und Eileen von Hoyningen Huene."
(Anke Demirsoy, theater pur, 08.10.2019)
"Trotz exzellenter Führung durch die Puppenspielerinnen Evi Arnsberg Brygmann, Bianka Drozdzik und Eileen von Hoyningen-Huene gewinnt das Ungeheuer kein Leben, geschweige denn auch nur einen Hauch von Dämonie. Das geht aufs Konto der Regie und der Fehlentscheidung, lähmende Textmengen den zarten Frauenstimmen zu überantworten."
(Bernd Aulich, Recklinghäuser Zeitung, 08.10.2019)
Stimmen aus dem Musiktheater
"Ich hatte das Vergnügen gleich als Erstes im Frankenstein schon mit einer Riesenpuppe konfrontiert zu werden. Das war doch ein sehr starkes Erlebnis, weil ich vorher unter Puppenspiel nur an die Augsburger Puppenkiste gedacht habe und das natürlich was ganz anderes ist als dann wirklich diese lebensgroßen echten Puppen zu sehen, die dann von drei Puppenspielerinnen gespielt werden. Das war schon sehr eindrucksvoll."
(Benjamin Hoffmann, stand in "Frankenstein" zum ersten Mal mit einer Puppe auf der Bühne)
"Ich weiß noch nach der Premiere die [Puppenspielerinnen] wurden richtig gefeiert. Und auch zurecht, weil das für sie eine Scheiß-Arbeit war. Vor allem weil das Stück eigentlich anders konzipiert war ursprünglich. Sie mussten nicht nur die Puppe führen, sondern dazu auch die Texte rezitieren und selber noch einzelne Rolle einnehmen und zusätzlich dazu noch singen. Das war eigentlich eine schwere Aufgabe für sie, aber die haben sie meisterhaft geschafft und das wurde sehr honoriert."(Benjamin Hoffmann, Opernsänger)
"Unsere Besucher, die im Frankenstein waren, so leid es mir für unsere Sänger tut, erzählen in erster Linie von der großartigen Puppe und ihren Spielerinnen."
(Michael Schulz, Intendant)
"Alle Leute, mit denen ich gesprochen habe, die waren total begeistert, die konnten total der Gefühlswelt des Monsters folgen, die waren auch total berührt von dieser Figur und berührt von dem, was wir gemacht haben. Ich glaube, viele waren auch sehr dankbar mal zu sehen: Ah, Puppenspiel für Erwachsene, das bedeutet das eigentlich!"(Eileen von Hoyningen-Huene, Puppenspielerin)
"Das war eine riesige Explosion, nach jeder Vorstellung. Auch von den Kollegen."(Bianca Drozdik, Puppenspielerin)
"Ich hab vieles gesehen, das Schauspiel mit Puppenspiel zusammen auf die Bühne bringt, aber Musiktheater mit Puppenspiel das ist ganz was anderes. Ich hatte für mich immer eine Vorstellung es sei ganz klein, also Puppenspiel wär dann nur im Hintergrund und das war die erste Erfahrung mit Frankenstein, dass die Figur, also die Puppe und die drei Puppenspielerinnen sind die Hauptfigur, die die ganze Geschichte durchziehen. Es ist möglich und es funktioniert und alle verstehen, was wir erzählen. Und dann kann man sich das ohne Puppe auch gar nicht vorstellen."
(Anastasia Starodubova, Puppenspielerin)
Perô oder die Geheimnisse der Nacht
Perô oder die Geheimnisse der Nacht
Das Besondere an dieser Produktion: Die Puppen verkörpern Menschen, können aber nicht mal ihren Mund öffnen, ihre Mimik ist starr. Das erfordert viel Konzentration und technisches Können, damit diese Puppen für das Publikum lebendig werden. Wenn das gelingt, ist es besonders faszinierend.
Das Stück
DANIEL JEROMA:Ein "magischer Moment" und wie er entsteht
"Da kommt es viel auf Technik an. Es ist auch technischer als im Schauspiel, da kann man mehr den Emotionen freien Lauf lassen und einfach machen, wie es einem kommt und mehr improvisieren. Das geht bei der Puppe nicht. Die hängt ganz ab von der richtigen technischen Führung [...] eine bestimmte Kopfbewegung oder Körperhaltung oder der Rhythmus der Puppe oder die Position der Puppe" übertragen die Emotionen auf das Publikum.
Daniel Jeroma hat den Perô in dieser Szene zusammen mit Gloria Iberl-Thieme bewegt. Einer den Kopf und die Arme, der andere die Beine. An der gemeinsamen Führung sei besonders herausfordernd "einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, sich gemeinsam abzusprechen ohne dabei Worte zu benutzen, sondern den Impuls vom anderen abzunehmen", sagt Daniel Jeroma.
Auf der nächsten Seite ist die Szene als Video zu sehen.
VideoDer "magische Moment"
Reaktionen
(Bernd Aulich, Recklinghäuser Zeitung, 18.12.2019)
"In den Hauptrollen glänzen Daniel Jeroma und Gloria Iberl-Thieme"
(Maria Eckardt, WAZ, 12.12.2019)
"Als Perô das erste Mal anfängt zu laufen, das ist ein magischer Moment"
(Michael Schulz, Intendant des Musiktheater im Revier)
Drei miese fiese Kerle
KinderoperDrei miese fiese Kerle
Das Stück
Reaktionen
"Hervorheben muss man auf jeden Fall die hervorragend gespielt und gesungene Katze durch Benjamin Hoffmann."(Holger Jehle, Abenteuer Ruhrpott,10.12.2019)
„Gerade mal eine Stunde dauert die Aufführung. Gefühlt währt sie eine Ewigkeit. Albern ist eingangs der Auftritt des gestandenen Baritons Piotr Prochera und des Bassisten John Lim aus dem hauseigenen Opernstudio in voller Rettungssanitäter-Montur geraten. Pfiffig stellt Sopranistin Dongmin Lee als Konrad mit Hilfe der Karierten Katze, einer von Benjamin Hoffmann geführten Klappmaul-Puppe, Anti-Gespensterkugeln und guten Tipps von Vater und Mutter ein Monster nach dem anderen kalt – erst das weiße Gespenst (Anke Sieloff), dann das bleiche Nachtmahr (Piotr Prochera) und schließlich das fetteste von allen (John Lim). Die Pointe, dass der Kater durch den Verzehr der drei miesen, fiesen Kerle selbst zum Monster mutiert, wollte Carsten Kirchmeier dem jungen Publikum offenbar nicht zumuten. Zad Moultakas kurzatmige Musik lässt keine ausgeprägte Gesangsphrase zu. Den von Peter Goller behänd geleiteten sechs Instrumentalisten der Neuen Philharmonie Westfalen verlangt sie reichlich Konzentration ab.“
(Bernd Aulich, Recklinghäuser Zeitung, 26.11.2019)
Stimmen aus dem Haus
"Einer unserer Opernsänger musste mit einer Puppe spielen. Wie schnell er sich das angeeignet hat, wie Puppe zu einem Teil von ihm wurde. Das ist total schön und beglückend."(Michael Schulz, Intendant des Musiktheater im Revier)
"Sobald die Katze überhaupt nur aufgetaucht ist von der Seite dann war das: ´Ah, da ist die Katze´. Das war schon schön, weil man sich gerade bei Kinderstücken über so direkte Äußerungen irgendwie freut." (Benjamin Hoffmann, die Katze)
Eileen von Hoyningen-Huene
Eileen von Hoyningen-Huene
Bianka Drozdik
Bianka Drozdik
Am Theater St. Gallen spielt sie unter der Leitung von Markus Joss in der Inszenierung „Der Prozess“ von Franz Kafka.
Evi Arnsbjerg Brygmann
Evi Arnsbjerg Brygmann
Anastasia Starodubova
Anastasia Starodubova
Seth Tietze
Seth Tietze
Marharyta Pshenitsyna
Marharyta Pshenitsyna
Colin Danderski
Colin Danderski
Colin Danderski über seine Zeit am MiR und Das Spiel mit Musik
Colin Danderski über seine Zeit am MiR und Das Spiel mit Musik
Warst du vorher schon in der Oper?
Colin Danderski:
Ja, ich war als Kind mit meiner Familie viel im Theater und in der Oper, vor allem in der Komischen Oper Berlin. Aber auch mit der Schule oder dem Theaterkurs...
MiR:
Was hast du von Deiner Zeit am MiR erwartet? Und was davon hat sich erfüllt?
Colin Danderski:
Ich hab gehofft, dass ich vor allem nach der langen Coronaunterbrechung einfach viel zum Spielen komme! Und das hat sich dann ja auch erfüllt. Vor allem die spartenübergreifende Zusammenarbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Deswegen habe ich mir für mein Diplom am Ende dann auch Tobias Glagau mit dazu geholt. Ich wollte auf jeden Fall nicht alleine arbeiten und konnte so das Spiel mit Musik noch weiter für mich erforschen.
MiR:Was nimmst du mit aus Deiner Zeit in der Puppensparte am MiR?
Colin Danderski:
Auf jeden viel ganz viele Erfahrungen - und den tollen Ensemblegeist. Und für mich die wieder entflammte Begeisterung fürs Musiktheater und die Lust, mich dort weiter künstlerisch auszuprobieren. Und natürlich ein T-Shirt [lacht] und das Versprechen wiederzukommen.
MiR: Gab es Dinge, die ganz neu für dich waren? Was hast du über das Haus selbst dazugelernt?
Colin Danderski:
Zum Beispiel das Sprechen mit Mikroports - und der ganze Theaterapparat, der so dahinter steckt. Ich kannte das schon im kleineren aus meiner Zeit als Regieassistenz am Puppentheater Magdeburg und von Theater Total - aber das für jeden Handgriff jemand da ist und dir hilft - das brauchte schon erst mal etwas Eingewöhnung. Als Puppenspieler ist man ja das Multitasking eigentlich gewöhnt... ist dann aber schon toll, weil man sich ganz aufs Spiel konzentrieren kann.
MiR: Wie haben Deine Erfahrungen am MiR Deine Diplominszenierung beeinflusst?
Colin Danderski:
Zuallererst würde ich sagen, dass ich natürlich einige Stücke gesehen und damit Seh-Erfahrungen gesammelt habe, die bestimmt unterbewusst meine eigene Regiearbeit beeinflusst haben. Ganz praktisch hab ich natürlich von meiner Zusammenarbeit mit Tobias profitiert, von den Gesprächen mit anderen Sängern, Korrepetitoren, meinen Kollegen. Von guten Inszenierungen bleiben da vor allem starke Bilder hängen. Und danach hab ich in meiner Arbeit gesucht... und hoffentlich ein paar gefunden [lacht].
Außerdem gibt es tatsächlich eine Parallele zwischen Kaspar Hauser und mir - wir haben beide durch die Kunst eine Möglichkeit zum Ausdruck gefunden. Auch wenn ich mir da etwas künstlerische Freiheit erlaubt habe - Kaspar Hauser hat wohl nie Cello gespielt. Aber es gibt Berichte über seine Freude am Klavierspiel.
Mir war wichtig zu zeigen, wie Kunst/Musik als universelle Sprache einen Menschen zu sich selbst führen kann. Und so hat mein Kaspar seinen eigenen Willen eigentlich erst mit seinem "Frühlingstraum" gefunden.
MiR:Deine Diplominszenierung erzählt von Selbst- und Fremdbestimmung - was für Erzähl-Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass der Protagonist eine Puppe ist?
Colin Danderski:
Sehr viele - das ist m.E. auch ein Reiz am Puppenspiel. Dass man so herrlich Machtgefüge, Manipulation und Abhängigkeiten darstellen kann. Ein einfaches Beispiel: Die Puppe will in die eine Richtung, der Spieler aber in die andere. Schon hat man einen Konflikt und dann geht es natürlich darum, den möglichst umständlich zu lösen. Außerdem hab ich mir mit Kaspar H. ja auch einen Protagonisten gewählt, der "anders" ist, weil er sich auch rein sprachlich nicht ausdrücken kann - von daher fällt es anderen leicht, ihm kein Gehör zu schenken, seine Bedürfnisse zu übergehen oder über seinen Kopf hinweg Entscheidungen zu treffen. Eine Puppe kann sich ja nicht wehren, die kann auch mal einfach in die Ecke gepfeffert oder - wie in meinem Fall - in ein Schrankgefängnis gesperrt werden. Die Herausforderung war dann eher, wie ich Kaspars eigenen Willen zeige, was wir dann über eine Traum- und Musikebene gelöst haben... Der Spieler ist ja zwangsläufig mit dran - das ist das Schöne, aber auch die Herausforderung von Puppenspiel.
MiR:Was planst du für die Zeit nach dem MiR und damit auch nach deinem Studienabschluss?
Colin Danderski:
Erstmal will ich endlich wieder reisen. Festivals besuchen, andere Städte aufsaugen - das war ja durch die Pandemie in den letzten Jahren eher schwierig...
Und ansonsten ist mein Studium ja noch nicht ganz vorbei - es steht noch eine schriftliche Arbeit an.
Ab Oktober geht´s dann sehr wahrscheinlich ans Theater Ansbach für ein Gastengagement. Und dann mal schauen, was die Zukunft bringt. Ich sehe dem inzwischen eigentlich ziemlich gelassen entgegen. Ich hab auf jeden Fall Lust, die Möglichkeiten der Kombination von Puppe und Musik noch weiter zu erforschen - vielleicht schon in einem nächsten Stück.
Johanna Kunze
BiografieJohanna Kunze
Puppet Masters
2020Puppet Masters
In „Disconnect“ erzählen Bianka Drozdik und Eileen von Hoyningen Huene von einem Paar. Die eine wird durch eine tödliche Krankheit aus dem Leben gerissen und die andere bleibt einsam zurück. Bei Evi Arnsberg Brygmans „Amorph“ verwandelt sich ein Schildkrötenkopf, der an einen Säugling erinnert, zur Gestalt der Mutter. Anastasia Starodubova zeigt eine Umsetzung des Stücks „Sauerstoff“ des russischen Kultautors Iwan Wyrypajew, in dem eine moderne Paarbeziehung auf der Grundlage der Zehn Gebote beleuchtet wird.
Reaktionen
"Das ist ein Auftritt der starken Gefühle, bewundernswert eindringlich und authentisch gespielt. Als Schauspiel und als Auftritt dreier Puppenköpfe, die als Mannsbilder wie Fremdkörper wirken."
(Bernd Aulich, Recklinghäuser Zeitung, 09.09.2020)
Amorph:
"Die halbstündige Szene beeindruckt durch Mut zum suggestiven Experiment." (Bernd Aulich, Recklinghäuser Zeitung, 09.09.2020)
Sauerstoff (Iwan Wyrypajew)
"Anastasia Starodubova servieren eine surreale Melange aus Thesen und Erzählfetzen"
(Elisabeth Höving, WAZ, 07.09.2020)
"Die drei am 5. und 6. September 2020 am Musiktheater im Revier im Kleinen Haus vorgestellten Diplom-Inszenierungen zeigen eindrucksvoll die vielfältigen Erscheinungsformen des zeitgenössischen Puppentheaters, das sich der Aufgabe widmet, auf der Bühne etwas über den Menschen zu erzählen, und sehr viel mehr ist als nur Märchen- und Kindertheater."(Detlefs Notizblog, 08.09.2020)
Video-Reihe: Das Schaf
Gloria Iberl-Thieme über die Leitung der Sparte
Gloria Iberl-Thieme über die neue Puppensparte "Wir haben frischen Wind reingebracht"
Gloria Iberl-Thieme über die neue Puppensparte "Wir haben frischen Wind reingebracht"
Wie hat sich das Musiktheater mit der neuen Puppensparte verändert?
Gloria Iberl-Thieme:
Ich würde sagen, dass wir frischen Wind reingebracht haben. Gerade am Anfang waren alle extrem an uns interessiert: Was macht ihr da, wie macht ihr das eigentlich? Wer seid ihr? Welche Arbeitsbedingungen braucht ihr?
Ich glaube, dass wir neue Perspektiven sowohl gewonnen, als auch ins Haus gebracht haben: was auf der Bühne möglich ist und was für andere Spiel- und Arbeitsweisen möglich sind. Auch die Abläufe hinter den Kulissen mussten ein bisschen angepasst werden. Die Gewerke mussten sich auf uns einstellen, Räumlichkeiten mussten zum Teil neu verteilt werden. Also da ist es sicher keinem entgangen, dass wir da sind [lacht].
MiR:
Wie ist das bei den Abläufen und innerhalb der Gewerke, was habt ihr da verändert?
Gloria Iberl-Thieme:
Diese Frage könnten vermutlich die Kollegen aus der Requisite am besten beantworten. Puppen müssen verpflegt werden. Da fällt schon mal ein Gelenk auseinander, wird beim Proben zu sehr beansprucht, irgendwas geht kaputt. Das ist normal, das passiert einfach. Manchmal müssen auch Puppen umgebaut oder den Anforderungen, die sich im Probenprozess ergeben haben angepasst werden. Und dann muss die Requisite ran. Oft ist Erfindungsgeist gefragt. Es gibt ja bei einer Puppe keine Vorgaben, keinen vorgeschriebenen Bauplan. Man muss sich jedes Mal wieder ein bisschen reinfuchsen. Die Kollegen aus der Requisite, sind wahrscheinlich die, die uns am meisten unterstützen müssen.
Aber auch auf der Bühne haben wir andere Arbeitsabläufe. Sänger studieren zum größten Teil ihre Partituren vorher ein, lange bevor es auf die Bühne geht und setzen das dann szenisch auf der Bühne um. Bei uns ist das komplett anders. Wir gehen natürlich vorbereitet mit der Rolle, dem Stück und dem Stoff im Kopf auf die Proben, aber eigentlich erfinden und kreieren wir das Stück oder die Rolle beim Probieren mit Hilfe des Regisseurs. Wir haben ein anderes Probentempo. Was beim Puppenspiel nochmal speziell ist: Wir sind nicht nur die Menschen, die auf der Bühne sind, sondern auch dieses Objekt, von dem man herausfinden muss, wie sieht es aus, wenn ich es bewege, was kann das ausdrücken, was braucht das, damit es lebendig wird? Das ist ein großer Unterschied zu Schauspieler*innen, die den direkten Weg zum Ausdruck über den eigenen Körper gehen. Das braucht unter Umständen ein bisschen mehr Zeit. Und auch die Regisseure müssen darauf eingehen. Manchmal ist unsere Arbeit sehr technisch, bevor es anfängt spielerisch und lebendig zu werden.
MiR:
Gab es Puppen oder andere Objekte, die die Requisite auch gebaut hat?
Gloria Iberl-Thieme:
Ja, das gab es schon, aber in der Regel werden für den Bau der Puppen von den jeweiligen Regisseuren externe Puppenbauer beauftragt, die sich darauf spezialisiert haben, Puppen zu bauen.
MiR:
Du meintest vorhin, dass der Probenprozess länger ist? Michael Schulz sagte, dass ihr in Richtung sechs Wochen geplant hättet. Wie lange wäre für euch die Probenzeit denn bestenfalls?
Gloria Iberl-Thieme:
Das kann man pauschal gar nicht sagen. Manchmal ist man schneller, manchmal langsamer, das sind zum Teil keine vorhersehbaren Prozesse auf einer Probe. Aber sechs Wochen sind schon eine gute Zeit.
MiR:
Du hast Corona gerade schon angesprochen. Wie hast du das erlebt, Corona ist ja zeitgleich mit der Einrichtung der Sparte zusammen gefallen. Welchen Einfluss hatte die Pandemie aus deiner Sicht auf die Einrichtung der Sparte?
Gloria Iberl-Thieme:
Es hatte vor allen Dingen einen Einfluss auf die Ausstrahlung auf unser Publikum, die wir erreichen konnten. Es gab diesen großen Knalleffekt, gleich mit der ersten Produktion „Frankenstein“. Die Puppen sind da! Aber wenn das dann sofort wieder verschwindet, das ganze Theater fast verschwindet, dann hat man es natürlich schwer. Das war das denkbar Ungünstigste, was passieren konnte. Und auch intern hat uns das ausgebremst. Zum Beispiel als Ensemble zusammen zu finden. Wir waren fast alle komplett neu am Haus.
MiR:
Einfach, weil ihr noch keine Zeit hattet, euch richtig kennenzulernen? Und dann gab es Produktionen...
Gloria Iberl-Thieme:
...Es konnte sich nicht einspielen. Und dann mussten wir ad hoc loslegen. Aber alle haben mitgemacht. Es hat irgendwie funktioniert.
MiR:
Erinnerst du dich an Momente, wo für dich deutlich wurde, dass hat sich letztendlich doch eingespielt? Ich denke jetzt an "Jauchzet, frohlocket" als spartenübergreifende Produktion, wo es sehr rund wirkte.
Gloria Iberl-Thieme:
Michael Schulz hat die Szenen so aufgebaut, dass Puppenspieler*innen und Sänger*innen zunächst separat probieren konnten. Dann erst wurde das zusammen gefügt. Das war sehr gut. So konnte am Ende alles zusammen wachsen und jeder hatte genug Raum.
MiR:
Jetzt würde ich gerne auch über ein paar Beispiele sprechen. Fallen dir Stücke ein, wo es besonders deutlich wird, was Puppen im Musiktheater für eine neue Erzählebene einbringen können?
Gloria Iberl-Thieme:
Da ist "Jauchzet, frohlocket" ein gutes Beispiel. Wir Puppenspieler*innen, sind in der Inszenierung unter anderem als Gauklertruppe aufgetreten. Wir sind immer wieder von außen dazu gekommen. Die Gaukler haben den Fluss der Bilder und der Musik unterbrochen und dem Publikum und den Sängern auf der Bühne kurze Szenen vorgespielt. Aber wir haben diese Szenen eben nicht nur selbst, also mit unseren Körpern gespielt, sondern über das Medium Puppe dargestellt. In einer Szene animieren wir zwei Kinderpuppen. Die beiden Kinder werden reichlich beschenkt unter anderem mit einer Schusswaffe die dann im Streit losgeht. Eines der Kinder stirbt. Eine solche Szene kann man in ihrer Brutalität nur mit Puppen darstellen, weil der Blick auf die Realität immer gleichzeitig abstrakt bleibt. Wir verwenden hier die Technik des „offenen Spiels“. Das heißt die Spieler*innen sind sichtbar hinter den Puppen mit auf der Szene. Man sieht nicht nur die Illusion der lebenden Puppe, sondern die Zuschauer*innen sehen, wie diese Illusion erzeugt wird. Wenn ein Regisseur mit solchen Techniken umzugehen weiß, dann kann das ein sehr starkes Spiel- und Theaterelement sein. Puppen bieten auch immer eine Projektionsfläche für die Fantasie der Zuschauer*innen. Wir Puppenspieler*innen bewegen und animieren sie, aber zu lebendigen Wesen werden sie erst im Kopf des Zuschauers.
MiR:
Eine Sache, die ihr neu etabliert habt in den letzten Spielzeiten, waren eure Social Media Videos, wo ihr ja wirklich auch kleine Stücke entwickelt habt. Ich denke an die Reihe "Puppen lügen nicht". Wie sind die entstanden? Wer hatte die Idee?
Gloria Iberl-Thieme:
Wir wollten neugierig machen auf das, was die neue Sparte am Haus vorhat. Vor allem, dass wir Puppentheater nicht nur für Kinder machen. Ich hatte so ein paar Ideen dazu. Simon Baucks, der als Kameramann und Regisseur dazukam, hat diese Ideen aufgegriffen. Daraus sind dann eine Videoreihe entstanden. Simon und ich haben vier kleine Szenen geschrieben, jeder zwei. Die Puppen für den Dreh, durften wir uns zum größten Teil aus dem Fundus der Berliner Hochschule Ernst Busch ausborgen. Wir selber hatten zu dem Zeitpunk noch keinen Fundus hier am Haus. Ich glaube, dass die Videos für viele Leute ungewöhnlich waren. Viele assoziieren mit Puppenspiel vor allem Kindertheater. Ich hab mich jedenfalls sehr über die vielen interessierten Reaktionen auf die Videos gefreut.
MiR:
Wo kamen diese Reaktionen her?
Gloria Iberl-Thieme:
Als dann der Spielbetrieb wieder aufgenommen wurde, wurde ich öfter von Zuschauer*innen auf die Videos angesprochen. Während des Lockdowns haben wir es damit doch immerhin ein bisschen geschafft, die Menschen und unser Publikum zu erreichen. Vorher gab es ja auch noch eine andere Videoreihe mit einem Papierschaf. Mit dem Schaf sind wir mal durch Gelsenkirchen gelaufen, weil wir draußen etwas aufnehmen wollten und tatsächlich wurde das Schaf von Passanten erkannt. Es sieht ja nicht wirklich aus wie ein Schaf, dieses etwas kryptische Papierwesen, man muss schon "Schaf" dazu sagen. Aber die Leute hatten es ein bisschen lieb gewonnen zu der Zeit.
MiR:
Das macht man, glaube ich, ganz gut mit. Das ist ja super interessant, ich würde sagen, die Videos haben dann ja noch gar nicht richtig die Plattform, die sie eigentlich haben könnten. Oder um es anders zu sagen, sie sind eigentlich doch ein wenig untergegangen, oder?
Gloria Iberl-Thieme:
Wir waren nicht die einzigen. Während des Lockdowns haben fast alle Theater Videoformate für Social Media Kanäle entwickelt, als Möglichkeit nach draußen zu gehen. Das Angebot war riesig. Man muss eben sehen was davon und wie man diese Formate auch weiterhin einsetzten kann. Wir sind ein Theater und dazu gehört ganz wesentlich die Einmaligkeit und Vergänglichkeit einer Aufführung, die Begegnung mit dem Publikum in einem Raum. Es ist wunderbar, dass das wieder möglich ist. In anderem Kontext kann ich mir aber durchaus vorstellen die Videoformate nochmal aufzugreifen. Gerade beim Schaf, ist immer sehr viel spontan entstanden, aus der Situation heraus. Das macht Riesenspaß, weil man nie genau weiß, was dabei heraus kommt.
MiR:
Ja, das Schaf ist ja im Grunde auch aus sehr rudimentären Materialien.
Gloria Iberl-Thieme:
Das ist einfach zusammen geknülltes Papier mit Gaffa-Tape und ein bisschen Fell. Die Puppe haben wir unter der Anleitung der Künstlerin Steffi Oberhoff gebaut. Steffi Oberhoff baut ihre Puppen oft so. Man darf diese einfachen gebauten Objekte, nicht unterschätzen. Das ist eine hohe Kunstfertigkeit.
MiR:
Was für Aufgaben sind für dich dazugekommen, seitdem du jetzt Leiterin der Puppensparte bist?
Gloria Iberl-Thieme:
Zum Beispiel bin ich bei der Aufstellung des Spielplans, bei der Auswahl der Regisseure, Puppenbauer und der Spieler*innen beteiligt. Die Koordination der Sparte innerhalb des Hauses fällt ebenfalls unter meine Aufgaben. Die Doppelfunktion, also als Spielerin und Ensemblemitglied auf der einen Seite und organisatorische Verantwortlichkeiten auf der anderen ist manchmal herausfordernd, aber in vielen Situationen auch ein großer Gewinn. Ich habe dadurch Einblicke auf beiden Seiten, kann manchmal zwischen den beiden Bereichen vermitteln.
Das komplette Interview mit Gloria Iberl-Thieme
Gloria Iberl-Thieme im Interview Wie das Puppentheater am MiR seinen Platz findet
Gloria Iberl-Thieme im Interview Wie das Puppentheater am MiR seinen Platz findet
Gloria Iberl-Thieme: Ja, kurz vorher in Weimar an der Oper. Da habe ich eine Produktion gemacht und die unterschiedlichen Arbeitsweisen kennengelernt, weil es ja schon eine andere Arbeitsweise ist, die man an der Oper hat.
MiR: Was ist bei der Opernarbeit denn anders?
Gloria Iberl-Thieme: Man ist natürlich durch so eine Partitur viel mehr an Vorgaben und an Timing gebunden. Ich muss nicht improvisieren, sondern richte mich nach den Vorgaben der Partitur.
MiR: Wie läuft die Probenarbeit im Puppenspiel ab?
Gloria Iberl-Thieme: Erstmal geht es viel darum, dass man sich mit der Puppe vertraut macht; wie sie funktioniert, wie sie reagiert, wenn ich sie bewege, weil das fast jedes Mal neu ist. Es ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit, dass wir uns viel mit dem Material auseinander setzen. Viele Dinge laufen dann über Improvisation. Wenn du schon ein fertiges Stück hast, ist das ähnlich wie im Schauspiel, also viel Rollenarbeit, viel Textarbeit. Ich würde sagen, im Kern ist Schauspiel und Puppenspiel sehr verwandt. Du musst beide Male eine Rolle verkörpern oder eine Figur darstellen, nur sind die Mittel andere. Im Schauspiel mache ich das mit meinem Körper und im Puppenspiel habe ich ein Ding oder etwas außerhalb meines Körpers. Ein Ding lebendig werden zu lassen, das ist eine ziemlich hohe Konzentrationsarbeit. Wenn man das dann drauf hat, also diese technischen Sachen vom Puppenspiel und die Freiheit eine Rolle zu interpretieren, dann erst macht es richtig Spaß.
MiR: Wie ist das wenn du mit Oper arbeitest, wo es dann die Partitur gibt, schränkt dich das ein in dieser improvisatorischen Freiheit?
Gloria Iberl-Thieme: Ja, das ist nach wie vor die große Frage. Bis jetzt habe ich "Frankenstein" nur gesehen, da habe ich nicht mitgespielt. Das war schon die Herausforderung für die vier [Puppenspielerinnen], dass sie sich an die Partitur anpassen müssen, Timing zum Beispiel. So habe ich das auch erlebt, als ich mit der Oper [in Weimar] zusammengearbeitet habe, dass diese Szenen eigentlich sehr durchgebaut sind. Die Bewegung der Puppe auf einen bestimmten Ton. Da muss man sehr auf den Punkt sein und das Improvisatorische muss ziemlich zurückstecken.
MiR: Meinst du damit auch den "Perô"?
Gloria Iberl-Thieme: Nein. Bei "Perô" zum Beispiel, das würde ich jetzt auch nicht als Oper bezeichnen. Das war extra für Puppenspiel geschrieben. Da haben wir total viel improvisiert. Es gibt eigentlich eine Textvorlage, aber das haben wir alles rausgeschmissen. Was man auf der Bühne gesehen hat, war von uns erfunden. So waren wir in den Spielszenen total frei. Das war eigentlich ein Theaterstück mit Musik dazu und keine Oper.
MiR: Das heißt, die Idee ist auch, dass das Puppenspiel für sich alleine steht als Sparte und nicht nur mit Musiktheater fusioniert wird?
Gloria Iberl-Thieme: Idealerweise wäre das natürlich so, dass man unabhängig eine Sparte bildet, sich aber in den unterschiedlichen Produktionen auch immer wieder treffen kann. Vielleicht wird es sogar mal passieren, dass ein Musiker beim Puppenspiel mitmacht oder dass ein Regisseur von sich aus sagt, da sind Puppen, ich hab mal Lust, die in meine Produktion dazu zuholen.
MiR: Oder wie in der "Winterreise", die nicht für Puppen gedacht ist, aber in der Inszenierung hier am Musiktheater mit Puppen gezeigt wird...
Gloria Iberl-Thieme: Genau. Das wird sicherlich spannend werden, inwieweit das möglich ist, inwieweit man da so frei mit umgehen kann, dass wir da Platz drin kriegen.
MiR: Was ist deine Beobachtung zu der "Winterreise"? Habt ihr da einen guten Weg gefunden, das zusammenzubringen?
Gloria Iberl-Thieme: Naja, da ist uns jetzt Corona dazwischen gekommen. Wir haben ja nicht zu Ende geprobt. Deswegen kann ich schwer etwas dazu sagen, es wurde quasi abgebrochen. Da haben wir viel dran gearbeitet, sind aber nicht zum Schluss gekommen.
MiR: Hast du auch mit Gewerken hinter der Bühne zu tun gehabt? Zum Beispiel wenn es darum ging, Puppen zu reparieren, sind die auch auf dich zugekommen?
Gloria Iberl-Thieme: Also bei "Perô" kamen die Puppen von außerhalb. Die sind an der Hochschule Ernst-Busch entstanden. Bei der "Winterreise" hat die Bühnenbildnerin das vorab entworfen. Die Bühne bestand aus einer riesigen Puppe, da hatte ich weniger mit zu tun, weil das in ihrer Hand war. Sie hat auch Erfahrung mit diesen großen Puppen. Das ist so ihr Ding. Die kleinen Papierpuppen haben wir teilweise auch selbst angefertigt. Wir haben uns getroffen und ein, zwei Tage daran gebaut; diese Steinböcke und Schafe, ein Reh. Die schönsten haben es dann sozusagen auf die Bühne geschafft.
MiR: Gibt es das Format schon, aus Zeitung und Kleber Puppen zu bauen?
Gloria Iberl-Thieme: Das ist eine Spezialität von unserer Bühnenbildnerin gewesen. An sich gibt es alles schon. Puppenspiel ist dermaßen vielfältig und die Leute sind weltweit und über Jahrhunderte schon so kreativ gewesen, dass es mit Sicherheit Puppen aus Papier gab [lacht].
MiR: Wie beschreibt man die am besten? Sind es Papierpuppen?
Gloria Iberl-Thieme: Es waren eigentlich Figuren. Das Schaf hat ja Gelenke. Das kann man richtig bewegen und es gab kleinere, die waren eher Standbilder.
MiR: Sind die Gelenke dann unter der Zeitung und dem Kleber versteckt?
Gloria Iberl-Thieme: Das ist total primitiv gebaut eigentlich. Dieses Schaf hat in den Armen Stäbe, dann machst du da, wo der Ellenbogen ist, ein bisschen Klebeband drum solange bis es sich bewegt ohne dass es auseinander fällt, mit ein bisschen Draht und so. Die leben davon, dass sie total naiv hergestellt werden. Das macht den Charme aus. Das Tolle ist auch, die fallen immer wieder auseinander, aber das macht nichts. Man kann die genauso schnell wieder reparieren. Wenn der Arm ab ist, dann klebst du ihn halt einfach wieder hin. Ich finde sie ganz toll, ganz ausdrucksstark, weil sie kindlich aussehen, aber kunstvoll gestaltet sind.
MiR: Wir haben vorhin mal über das Timing gesprochen, fallen dir noch mehr Herausforderungen ein, denen du als Puppenspielerin hier am MiR begegnest?
Gloria Iberl-Thieme: Ich kann nur immer auf die unterschiedlichen Arbeitsweisen hinweisen, weil das für mich am prägnantesten hervorsticht. Und dass da viel Verständnis von beiden Seiten erforderlich ist innerhalb so einer Produktion. Dass man weiß, was der andere braucht. Die Sänger kommen mit der fertig gelernten Partitur auf die Bühne, aber für uns beginnt die eigentliche Arbeit auf der Bühne. Ich habe dementsprechend einen ganz anderen Arbeitsrhythmus.
MiR: Erinnerst du dich an Überraschungen in der Arbeit am MiR?
Gloria Iberl-Thieme: Also was absolut faszinierend ist, wenn man mit einem Opernsänger auf der Bühne steht und der legt da richtig los und du merkst, was er für eine Kraft in der Stimme hat. Was das für eine Energie hat so eine Stimme! Das waren Momente, wo ich platt war.
MiR: Was würdest du sagen, was können Puppenspiel und Oper voneinander lernen?
Gloria Iberl-Thieme: Das ist sehr situationsabhängig. Also was ich an dem Metier sehr schätze ist, dass es eigentlich immer sehr bombastisch daher kommt und es auch ist. Das mag ich sehr. Die Disziplin der Sänger ist bewundernswert und toll. Das mag ich. Aber so eine gewisse Arbeitshygiene, eine Konzentration erlebt man eigentlich immer am Theater, nicht nur in der Oper. Es gibt bestimmte Regeln und es herrscht ein gewisser Verhaltenskodex. Das ist bei manchen Probe auch so. Du gehst in diese Probe rein und die vier Stunden bewegst du dich in einem anderen Raum.
MiR: Im Gespräch mit dem Intendanten, sagte er, die Puppe kann Dinge tun, die ein Schauspieler nicht tun kann. Sie haben also so etwas wie Narrenfreiheit?
Gloria Iberl-Thieme: Auf jeden Fall, diese Anarchie, das steht vielleicht in einem Gegensatz zu der Oper und könnte eine fruchtbare Kombi ergeben. Eine Puppe trägt immer ein anarchisches Element in sich. Das kann im positivsten Sinne ein Kontrast sein zur vorgeschriebenen Partitur, an die man sich zu halten hat. Vielleicht könnte das eine durch das andere noch mehr zu Tage treten.
MiR: Oder ich denke, dass es in der Oper ja oft um übersteigerte menschliche Emotionen geht. Da können Puppen auch einen Kontrast zu bilden.
Gloria Iberl-Thieme: Vielleicht. Wobei Puppen auch Emotionen haben…
MiR: Klar, das wollte ich ihnen gar nicht absprechen.
Gloria Iberl-Thieme: Ich glaube, da treffen sich beide Kunstformen. Beide sind sehr zur Übertreibung geeignet. Es gibt ja eine Art Schauspiel, das sehr realistisch ist. Puppenspiel und Oper sind immer sichtbare Theatermittel. Die Puppe und der Operngesang ist ein sichtbares Mittel. Es ist halt ein Unterschied, ob du auf der Straße sprichst oder auf der Bühne singst.
MiR: Kannst du abschließend einen Ausblick geben, wie sich die Sparte in der nächsten Zeit weiterentwickeln wird?
Gloria Iberl-Thieme: Wir sehen zu, dass wir die Sparte weiter ausbauen und uns nach und nach dort ein eigenes Gesicht geben, also als vierte Sparte, die genauso wie Tanz und Oper dort eigenständig funktionieren kann.
Black Rider
MIR zeigtBlack Rider
Über das WerkBlack Rider
Auch wenn er inzwischen in die Ewigen Jagdgründe eingegangen ist, lebt Ur-Beatnik William S. Burroughs in den Herzen und Köpfen seiner Fans weiter und hat dank der atmosphärisch-dichten „Black Rider“-Story auch die Bretter, die die Welt bedeuten, erobert. Die alte Volkslegende, die ihm als Vorlage diente, hat schon Carl Maria von Weber zu seinem „Freischütz“ inspiriert. Burroughs’ Figuren wirken mal traumverloren, mal wie im Drogenrausch, sie verstricken sich im Gespinst aus Behauptung, Lüge und Hybris. Tom Waits schrieb dazu eine Musik, die wunderbar schräg und doch poetisch ist, die Songs sind mal folkig, mal rockig, und immer wieder grüßt das Vaudeville. In den schönsten Momenten – wie etwa in der berühmten Ballade „The Briar and the Rose“ – eröffnet uns Waits einen Blick in die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele mit ihren unerfüllten Sehnsüchten.
Reaktionen
(Ansgar Skoda, der Freitag, 15.11.2020)
„[S]ehr außergewöhnliches Stück […] Alles wirkt ziemlich schräg. Besonders an der Inszenierung von Astrid Griesbach sind die Puppen im Stück. Dabei setzt man verschiedene Arten ein. Als Ganzkörperpuppe tritt der Teufel auf. Andere tragen die Menschen am Körper, z.B. die Beine einer Puppe, die durch ihre größenmäßige Verzerrung närrisch wirken. Andere Puppen sind reduziert auf einen Hirsch- oder Wolfskopf.“
Abenteuer Ruhrpott: Musicalprobe „The Black Rider“ im MiR, 12.09.2020.
„So ist also dieser ,Black Riderʼ, dieses nicht mehr spartenübergreifende, sondern fast schon spartenlose Theater, trotz leerem, überaktivem Gewusel an manchen Stellen, trotz Problemen in der Klanggestaltung und obwohl die großen Bilder im großen Saal des MiR vielleicht doch nicht immer groß genug sind – gelungen. Vor allem aber: unserer Zeit angemessen!“
(Andreas Falentin, Die deutsche Bühne, 20.09.2020)
„Dargestellt wird der Gehörnte in diesem Fall von einer Puppe und bis zu drei Spielern, die sie zu einem mitunter gruseligen Leben verhelfen. Die schrillen Kostüme und Puppen von Atif Mohammed Nor Hussein passen zum bunt-schrägen Bühnenbild von Lisette Schürer […] Mit Astrid Griesbach hat das Musiktheater nicht nur eine der renommiertesten Puppentheater-Regisseurinnen des deutschsprachigen Raumes für die Inszenierung gewinnen können, sondern auch eine Regisseurin, die bei Robert Wilson, der bei der Uraufführung im Jahr 1990 im Thalia-Theater in Hamburg Regie führte, hospitiert hat […] Die Puppenspieler Gloria Iberl-Thieme, Daniel Jeroma, Marharyta Pshenitsyna, Merten Schroedter und Seth Tietze hauchen den Puppen wahrhaftig Leben ein und sorgen für das schräge Gesamtkunstwerk.“
(Silke Sobotta, StadtSpiegel, 23.09.2020)
„Das schrill-schräge Meisterwerk der amerikanischen Regie-Ikone Robert Wilson, des Komponisten Tom Waits und des Autors William S. Burroughs ist seit der Uraufführung 1990 im Hamburger Thalia Theater Legende. [...] Gelsenkirchen wird einen ähnlich fantasiereichen, bildgewaltigen, doch ästhetisch ganz anderen Weg gehen. […] In Gelsenkirchen bringt die Berliner Regisseurin Astrid Griesbach mit ,The Black Riderʼ ähnlich starke, opulente Bilder mit einer ganz eigenen Magie auf die Große Bühne... [Die Puppen] mutieren zu den heimlichen Drahtziehern des diabolischen Geschehens […] Den Satan erwecken zwei bis fünf Puppenspieler geschickt zum Leben, lassen ihn sprechen und singen. Das sogenannte Devil-Team […] bewegt den Leibhaftigen vital und elegant vom Horn bis zum Huf […].“
(Elisabeth Höving, WAZ, 18.09.2020)
Orfeo
MIR zeigtL’Orfeo
Was diese Inszenierung besonders macht: „L’Orfeo“ ist eine Gemeinschaftsproduktion der Sparten Oper, Tanz und Puppentheater mit den gesamten Ensembles. Giuseppe Spota, Direktor der MiR Dance Company, hat das Gesamtereignis aus Gesang, Tanz und Puppenspiel umgesetzt.
Über das StückL’Orfeo
Daniel Jeroma über L’OrfeoWie war die Begegnung mit den anderen Sparten?
Reaktionen
(Jürgen Otten, Opernwelt, 12.2020)
„In Gelsenkirchen schreitet Monteverdis Sänger [Orfeo] tänzerisch in den Hades. Als ganz große Nummer mit Ballett und Puppentheater freilich...die Interaktion mit seiner Euridice, meist eine in vielerlei Größen geführte Holzpuppe ähnlich einem Proportionsmodell für Maler, ist sowohl als Behauptung wie auch als Bühnenwirklichkeit dysfunktional.“
(Manuel Brug, Oper, 12.2020)
„[…] ein Abend, der seine Momente hat, aber zu viel will und sich im Gedrängel der Sparten verzettelt statt auf die Substanz und Kraft der Vorlage zu vertrauen.“
(Regine Müller, Die deutsche Bühne, 12.2020)
„Es ist die große Kunst dieses Abends, keine konkreten Bilder zu zeigen, aber immer wieder tief in die Stimmungen und Seelenlagen der Protagonisten einzutauchen [...] Nach der Pause entwickelt auch die Inszenierung große Stärken und zeigt, wie viel Potenzial im Zusammenwirken von Tanz, Gesang und Figurentheater steckt.“
(Stefan Keim, Deutschlandfunk, 19.10.2020)
„Als Gesamtkunstwerk der Sparten zelebrieren Giuseppe Spotas Dance Company, die neue Sparte Puppentheater und das Opernensemble Orpheus’ Reise. […] Einmal mehr demonstriert Spotas Ballettkompanie ihre sinnliche Wucht. Nicht einmal der Hades vermag sie zu lähmen, nicht einmal kniehoches Styx-Wasser in Gummistiefeln. […] Das Publikum, über zwei Stunden tapfer durchmaskiert, feierte „L’Orfeo“ einhellig.“
(Lars von der Gönna, WAZ, 18.10.2020)
Rico, Oskar und die Tieferschatten
MIR zeigtRico, Oskar und die Tieferschatten
Über das StückRico, Oskar und die Tieferschatten
Reaktionen in der Presse
(Elisabeth Höving, WAZ, 24.10.2021)
„Warum die Puppen so aussehen hat eher Fragen aufgeworfen. Diese raue Oberfläche und etwas monströse Gestalten. Ich habe mit den Puppen ziemlich gerne gespielt. Und das kam auch bei den Kindern richtig gut an, die haben das total angenommen. Das hat mich überrascht. Unser Hauptpublikum war so zwischen 12 und 15 Jahren, die hatte damit überhaupt keine Probleme“
(Merten Schroedter)
Puppen lügen nicht
Video-ReihePuppen lügen nicht
Puppen lügen nicht 1: Selbstlos, wie eine Marionette
"Selbstlos, wie eine Marionette" – Schauspielerin und Puppenspielerin Gloria Iberl-Thieme präsentiert: "Puppen lügen nicht". Ein Video von Simon Baucks.
Puppen lügen nicht 2: Herkules
"Herkules" – mit Schauspieler und Puppenspieler Daniel Jeroma und Gloria Iberl-Thieme im Nordsternpark Gelsenkirchen. Ein Video von Simon Baucks.
Puppen lügen nicht 3: Singender Fisch
Nicht nur Angelfreunden wird Don Aalvaro, unser singender Fisch ein Lächeln ins Gesicht zaubern – doch genauso wie das verrückte Schaf Wally, muss auch er erst mal die strengen Anforderungen eines Castings auf großer Bühne meistern. Mit der von Timothy Richards geliehenen Stimme – kein Problem, oder? Mit Daniel Jeroma, Seth Tietze und dem Puppenspielensemble des MiR. Video: Simon Baucks
Puppen lügen nicht 4: Das Manifest der Puppenheit
"Auf das die Kamele durchs Nadelöhr gehen – Reiß der Stecknadel den Kopf
ab!" Mit Merten Schroedter und dem Puppenspielensemble des Musiktheater
im Revier.
Alien
Avenue Q
MIR zeigtAvenue Q
Über das StückAvenue Q
Reaktionen in der Presse
(Dominik Lapp, Kulturfeder.de, 02.06.2021)
„Beeindruckend sind das Spiel mit den Puppen und die dazu passende Mimik von Charlotte Katzer und Nicolai Schwab, die einfach herausragend sind...Definitiv ist das Musical viel zu schade nur für den Stream und vielleicht holt es das Musiktheater im Revier ja in der neuen Spielzeit doch noch einmal zurück auf die Bühne.“
(Silke Sobotta, StadtSpiegel, 05.06.2021)
Amphitryon
MIR zeigtAmphytrion
Über das StückAmphitryon
Gemeinsam mit der Art-Pop-Band „We Will Kaleid“ präsentiert das MiR Puppentheater mit Masken, Puppen und Objekten einen Literaturklassiker, der mit seinen Motiven rund um die Selbstdarstellungswut der Menschen auch heute Aktualität besitzt.
Reaktionen in der Presse
(Wolfgang Platzeck, WAZ, 10.04.2022)
"Das Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen hat einen zeitgemäßen Zugang gefunden."
(Achim Lettmann, WA, 12.04.2022)
„Und das Spiel mit dem Schein treibt Søgaard ziemlich weit im Akustischen wie im Visuellen, mit Puppen und Masken, experimentellem Sound und exaltierten Kostümen. So viel Fläche für Fake! […] Im MiR sind die Götter Puppen – marmorweiß und klein wie Kinder. Und die Menschen tragen Masken – kaum Mimik, keine Falten, Starre im Gesicht. Sie haben sich ihr eigenes Bildnis aufgesetzt, ihr Antlitz inszeniert […] Bei zu viel Schein stellt sich einfach nicht mehr die existenzielle Frage nach Identität. [...] Maske gegen Puppe. Aber es gibt sie auch, diese wenigen zerbrechlichen Momente, die Menschlichkeit zeigen. Und es sind die Puppen, die Emotionales durchfunkeln lassen, genauer gesagt, die Puppen und ihre Spieler*innen.“
(Sarah Heppekaus, fidena.de, 27.04.2022)
Jauchzet, frohlocket
MIR zeigtJauchzet, frohlocket!
Über das StückJauchzet, frohlocket!
Als eindrückliches Zusammenspiel von Gesang und Puppentheater befragt „Jauchzet, frohlocket!“ unsere Vorstellungen vom Leben, entlarvt Machtverhältnisse und wagt so einen kaleidoskopischen Blick auf unsere Gesellschaft. Generalintendant und Regisseur Michael Schulz verbindet Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium mit Werken weiterer Künstler. Dabei lässt er christliche Texte auf heidnische Verwünschungen treffen und setzt sich mit der Bedeutung des Glaubens in unserer Gesellschaft auseinander. Als spartenübergreifende Produktion von Musiktheater und Puppentheater beleuchtet „Jauchzet, frohlocket!“ bildgewaltig die vielschichtigen Themen des Oratoriums und setzt so ein Zeichen für eine heterogene Gesellschaft und für Diversität.
Anna-Maria Polke über die Heiligen Drei Könige:"Ein Bild, das bröckelt"
Reaktionen in der Presse
(Andreas Falentin, Die Deutsche Bühne, 05.12.2021)
„Das Puppenspiel (Entwurf und Bau: Martina Feldmann und Bodo Schulte) als solches nimmt bei Jauchzet, frohlocket!, entgegen der Erwartung, einen ziemlich geringen Raum ein: Es bleibt bei einer Kaukautzky-Puppe, die mit lilafarbenem Glitzer den herrschsüchtigen König Herodes darstellt, und zwei Kinderpuppen, nämlich einem blonden Jungen im karierten Hemd und seiner um einen Kopf kleineren Schwester oder Freundin, einer Puppet of Color, die er – dramaturgisch fragwürdig – am Ende der ersten Hälfte mit einer Pistole erschießt, nur damit sie sich in der zweiten Hälfte wieder lieb haben können. Diese zwei Puppen werden ungemein einfühlsam animiert, man begreift aber nicht, wen sie konkret repräsentieren oder was sie symbolisieren sollen. Dabei sollten im Zentrum der Inszenierung erklärtermaßen nicht zuletzt die Fragen stehen, wie wir heute mit Kindern umgehen, wie Kinder unter bestimmten (religiösen) Machtverhältnissen leiden und ob sich die Kirche – endlich – ihrer besonderen Schutzverantwortung gegenüber Heranwachsenden stellt... Weiterhin bleibt der auffällige und durchaus virtuose Einsatz von Masken, etwa den überlebensgroß zusammengestückelten drei Weisen aus dem Morgenland oder den Soldat:innen des Kindermords, leider nicht mehr als optische Abwechslung, ,dekorativeʻ Zwischenspiele ohne tieferen Sinn.“
(Helge Sigurd Kreisköther, Fidena.de, 06.12.2021)
„In der spartenübergreifenden Produktion von Musiktheater und Puppentheater geben, spielen, bewegen die Mitglieder des Puppenspielstudios nicht nur die beiden Kinder, sondern verkörpern auch wenig später in einem der aufregendsten Momente der Inszenierung den selbstherrlichen Papst ,Bonifazius VIIIʻ als Totengräber des christlichen Glaubens.“
(Wolfgang Platzeck, WAZ, 06.12.2021)
Hören Sie auf dieser Seite Meinungen aus dem Premieren-Publikum von „Jauchzet, frohlocket!“
Reaktionen aus dem Publikum
Anna-Maria Polke im Gespräch Was die Puppen bei „Jauchzet, frohlocket!“ erzählen
Anna-Maria Polke im Gespräch Was die Puppen bei „Jauchzet, frohlocket!“ erzählen
Die Puppen und Masken kamen in verschiedenen Formen vor. Kannst du sie skizzieren in technischer, aber vor allem inhaltlicher Sicht?
Anna-Maria Polke:
Bei „Jauchzet, frohlocket!“ haben wir mit vielen verschiedenen Materialien, Puppen und Figuren gearbeitet, die sich mitunter aus verschiedenen Gegenständen zusammengebaut haben, die vorher Teil der Szenerie waren. Beispielsweise waren die Bestandteile der Figur Papst Bonifazius VIII. zuvor sichtbar: Aus einer Tischdecke wurde im nächsten Moment sein ein Umhang, aus einem Holzstuhl sein Körper, aus einem Besenstiel der Hals. Hinzu kam ein mit Strasssteinen besetzter Skelettkopf, der an das Kunstwerk von Damien Hirst erinnern sollte. Martina Feldmann hat diesen Kopf so bearbeitet, dass er durch einen Ziehmechanismus sein Gebiss bewegen und dadurch sprechen konnte. Geführt wurde die Puppe vom gesamten Puppenspielensemble. Andere Figuren des Abends wurden mit als konkrete Puppen dargestellt. Es gab beispielsweise die Figuren von zwei Kindern, die als Vierfüßler-Puppen aufgetreten sind, Herodes, der eine Kaukautzky-Puppe war. Die Figuren der Soldaten wurden mit Mitteln des Maskentheaters umgesetzt. Die Wahl für eine bestimmte Puppenform hatte immer etwas mit der Konzeption und der Bedeutung der jeweiligen Rolle zu tun.
MiR:
Das ist interessant, weil bei den Soldaten kann man sich durchaus fragen, sind das Puppen oder eher Masken?
Anna-Maria Polke:
Maskentheater ist ein Element des Puppentheaters. Der Körper des Spielenden dahinter bleibt sichtbar, aber sein Kopf verschwindet hinter dieser Maske. Die Maske wird zum Gesicht und zwingt den Körper zu großen, figurenhaften und künstlichen Bewegungen. Es entsteht ein spannendes Zusammenspiel von Körper und Material. Auch in „Amphitryon“ arbeitet Regisseur Nis Søgaard mit Masken, genauer gesagt mit Halbmasken. Hier bleibt der Mund frei, das eigene Gesicht verschmilzt quasi mit der Maske. Maskentheater erzeugt eine abstrakte Überhöhung und Künstlichkeit der Figuren. Sie ermöglicht, eine Komik in der Ernsthaftigkeit und gleichzeitig auch eine Tragik in der Rolle zu zeigen.
MiR:
Dann gab es ja noch die Drei Weisen. Dazu hatte ich in einigen Rezensionen gelesen, dass sie mehr als dekorative Elemente wahrgenommen worden seien. Was wolltet ihr damit erzählen?
Anna-Maria Polke:
Die Drei Weisen sind im Gegensatz zu Herodes die „guten“ Könige. Sie stehen nicht für bösen Reichtum, für den Bonifazius VIII. oder Herodes stehen. Bei „Jauchzet, frohlocket“ sind es Großmasken, die durch das Zusammenfügen ihrer Einzelteile durch drei bis fünf Darstellende erst entstanden sind. Sie zeigen, wie schnell Systeme aufgebaut werden und wie schnell sie wieder zerfallen können. Je nachdem, ob man daran glaubt oder will, dass sie entstehen. Die Könige selbst hatten keine Text, ihre Stimme haben sie durch den Chor erhalten haben. Insofern waren sie für uns natürlich mehr als dekoratives Element. Im Gegensatz zu ihnen steht Herodes, der durch die Umsetzung als Kaukautzky-Puppe lächerlich und klein wirkt. Herodes steht für die totale Macht und ihre Auswirkungen. Wer sich seinen Befehlen widersetzt, wird umgebracht. Das zeigt sich ja deutlich bei den Soldaten: Wer hinter die eigene Maske des Befolgens blickt, zerbricht. Die Kinder wiederum nehmen in dem Abend eine ganz andere Ebene der Figuren ein. Sie speisen sich aus den Projektionen der Gesellschaft auf Kinder. Welche Wünsche und Hoffnungen hat man für sie, welche legt oder legte die Gemeinschaft auf das Jesuskind? Es geht bei den beiden metaphorischen Figuren um Erwartungshaltungen, die man heute an Kinder stellt und zu denen auch immer wieder gesellschaftliche Ungerechtigkeiten hinzukommen. Da spielt auch die Frage von Diskriminierung eine Rolle. Inwiefern hat der Geburtstort des Kindes Einfluss auf seine Chancen? Kommentiert wird diese Thematik beispielsweise durch die Musik: Eislers „Lied einer proletarischen Mutter“ besingt die Ungerechtigkeiten auf der Welt und schlägt damit aber wieder den Bogen zu den anderen Figuren des Abends wie zu der sich im Reichtum badende Papst beispielsweise. Die beiden Kinderpuppen sind in ihrer Gestalt sehr puppenhaft, fast schon perfekt gebaut und gestaltet. Ziel war es, sie so makellos zu gestalten, dass man alles Mögliche in sie hineinlesen und projizieren kann.
MiR: Inwiefern sind die Figuren in dem Stück bildhaft zu sehen. Herodes z.B. ist ja weniger realistisch, er ist stattdessen klein, tritt auf wie ein Entertainer...
Anna-Maria Polke: Natürlich sind die Figuren mitunter auch wie Schablonen und Stellvertreter zu sehen und zu lesen. Herodes beispielsweise ist eher eine Karikatur einer furchtbaren Führungspersönlichkeit. Ich habe dieses Spiel mit den Größenverhältnissen, das sich mit den Mitteln des Puppentheaters durch den gesamten Abend zieht, auch immer in Verbindung mit der Hoffnung gesehen, die Bele Kumberger im „Lied von der Moldau“ von Hanns Eisler und Bertolt Brecht besingt: Die Hoffnung, dass das Große nicht mehr groß und das Kleine nicht mehr klein ist. Durch die Darstellung der vermeintlich Mächtigen als Kleine „Witzfiguren“ enttarnt das System und deckt die Lächerlichkeit solcher Figuren auf.
MiR:
Bonifazius VIII. hingegen ist übergroß...
Anna-Maria Polke:
Das stimmt. Aber er ist eben auch nur so groß, weil die Menschen ihn Großwerden lassen. Würden nicht fünf Leute stehen und ihn formen, verlebendigen und im wahrsten Sinne des Wortes hochhalten, wäre er auch ganz klein, ja gar nicht existent. Genau für die Übersetzung solcher Machtstrukturen bietet sich das Puppentheater und in dem Fall eine Puppe an, die erst durch das Zutun der Menschen entsteht. Aus Materialien und bestimmten Dingen entsteht eine Figur, ein Popanz, der als Sondermacht fungiert. Darunter kann man natürlich auch das System „Kirche“ allgemein verstehen. So schnell der Papst aufgebaut ist, so schnell zerfällt er auch wieder. [...] Ich glaube, weil dieser Abend so viel Innerlichkeit darstellt und nach außen kehrt, also innere Einstellungen, innere Abgründe, innere Verschlossenheit gegenüber anderen oder gegenüber dem Unheil in der Welt. Da nimmt das Puppentheater genau diese Verschlossenheit und knackt sie und macht dadurch die Eigenschaften sichtbar, die man normalerweise bei so einem Fest vor der Tür lässt. Das Puppentheater ist bei „Jauchzet, frohlocket!“ also immer wieder Störfaktor, der die unbequeme Wahrheit unseres Zusammenlebens und der menschlichen Abgründe auf den Tisch bringt.
Benjamin Hoffmann
Interview mitBenjamin Hoffmann
Requisite: Leiter Thorsten Böning
Stimme aus der Abteilung RequisiteThorsten Böning
Die Abteilung Requisite kann auf keinerlei Vorerfahrung mit Puppen zurückgreifen: "Wir tasten uns da so langsam ran. Wir haben von der Bühnenbildnerin für das Reh ein kleines Bild in DIN A5 als Figurine bekommen. Demnach haben wir das gebaut. Das Geweih haben wir aus dem Fundus, den Kopf haben wir so leicht wie möglich gebaut, beim Gestell hat die Schlosserei fürs Schweißen ausgeholfen. Das ist dann so ein kleiner Entwicklungsprozess wie das ja oft ist auch bei Requisiten, die so ein bisschen erfunden werden müssen erst mal."
Auch Reparaturen hat die Abteilung schon vorgenommen, etwa an der Puppe aus der Oper "Frankenstein": "Die Frankenstein-Puppe hat ein paar Mal auf dem OP-Tisch hier in der Requisite gelegen." Hilfe und die notwendigen Ersatzteile kamen dazu von den Puppenbauer*innen. Geht es aber um den Puppenbau im Haus, betont Böning: "Da braucht man eine gewisse Zeit, bis man sich eingearbeitet hat. Von daher wäre meine Vorstellung, wenn Puppen hier im Haus enstehen sollen, dass es eine eigene Puppenwerkstatt geben müsste, mit einem versierten Menschen, der das schon ein paar Mal gemacht hat. Die Werkstatt könnte an die Requisite angegliedert sein. Denn die Materialien, Werkzeuge und Maschinen sind sehr ähnlich. Wir müssten das nur räumlich und personell erweitern."
Auch wenn sich Strukturen für den Puppenbau am Haus in den kommenden Spielzeiten noch entwickeln und verändern werden, für Böning steht fest: "Irgendeine Lösung findet man immer".
Kostümabteilung: Karin Gottschalk
Stimme aus der Abteilung KostümKarin Gottschalk
Das sind wir gewohnt, dieses Eingehen auf Bedürfnisse, was gebraucht wird, was muss eine Figur machen, was muss sie können und so weiter. Da sind wir flexibel. Es gehört zu unserem Beruf dazu, diese Elastizität zu haben."
Ton
Jan WittkowskiTonabteilung
Wenn eine Puppe auf der Bühne lebendig wird, ist das oft die Arbeit mehrerer Puppenspieler*innen. Sie sprechen dann manchmal im Chor und manchmal alleine, mal dicht beieinander und mal nicht.